Denk ich an Zypern in der Nacht…

Wer hätte gedacht, daß eines der kleinsten Länder der Euro-Zone auf einmal spektakulär in den Blickpunkt rücken könnte? Viele Regierungen und erst recht viele Bürger der Europäischen Union bzw. der Euro-Währungszone begannen sich gerade mit dem Gedanken anzufreunden, daß der gefährlichste Teil der Euro-Krise überstanden sei. Griechenland schien einstweilen „gerettet“, in Irland gibt es erste positive Anzeichen der wirtschaftlichen Gesundung, die spanische Immobilien- und Bankenkrise ist vorläufig eingedämmt und selbst das chaotische Ergebnis der italienischen Parlamentswahlen hat bislang nicht zu den befürchteten Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten geführt.

Auf einmal stört der Inselstaat im östlichen Mittelmeer die trügerische Ruhe und auf einmal scheinen alle Gespenster der bewältigt geglaubten Krise wieder aufzuerstehen. Und in der Tat, Zypern verdeutlicht, daß noch nichts gewonnen ist. Schlimmer noch: Die Art und Weise des Versuchs, die zypriotische Krise zu meistern, zeigt in aller Klarheit, daß die europäischen Institutionen ebenso wenig dazugelernt haben wie die Regierungen der Mitgliedsstaaten der Eurozone.

Um die Sprengkraft der „Zypern-Krise“ zu begreifen, müssen ihre Ursachen verstanden werden. Die von „Zypern“ ausgehende Gefahr speist sich aus vier Quellen:
1. Der Euro war von Anfang an ein künstliches Gebilde, dessen Konstruktionsfehler erst im Laufe der Zeit behoben werden sollten.
Bei Vereinbarung der gemeinschaftlichen Währung war allen Beteiligten klar, daß es sich mehr um ein politisches Projekt handeln würde als um ein wirtschaftliches. Warnungen, daß eine gemeinschaftliche Währung nicht funktionieren könne, gab es von Anfang an zuhauf. Ein gemeinschaftlicher Währungsraum kann nur dann wirklich funktionieren, wenn zumindest eine gemeinschaftliche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik betrieben wird. Davon war die Eurozone von Anfang an weit entfernt. Die „Väter“ des Euro waren der Ansicht, daß die Gemeinschaftswährung über kurz oder lang zwangsläufig zu einer Angleichung der Politik werde führen müssen und damit mittel- bis langfristig auch zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse. Der Euro sollte also nicht das Produkt einer Konvergenzpolitik sein sondern der Anstoß zu einer solchen.

2. Die als Überbrückungsmaßnahmen bis zur Herstellung einer wirklichen Währungsunion gedachten Stabilitätskriterien waren das Papier nicht wert, auf dem sie vereinbart wurden.
Um einen gemeinschaftlichen Währungsraum zu schaffen, sind gemeinschaftliche Institutionen nötig. Solche gemeinschaftlichen Institutionen bedürfen einer demokratischen Legitimation. Den Beteiligten der Euro-Einführung war natürlich bewußt, daß solche Institutionen nicht bestehen und zum Zeitpunkt der Euro-Einführung auch politisch gar nicht durchsetzbar waren. Um dieses Dilemma aufzulösen, wurden die Stabilitätskriterien vereinbart. Zunächst diente die Einhaltung dieser Kriterien als Voraussetzung zum Beitritt zur Eurozone, später wurde vereinbart, daß diese Kriterien auch nach Einführung des Euros Bestand haben sollten. Die fehlenden gemeinschaftlichen europäischen Gremienentscheidungen wurden ersetzt durch Vereinbarungen zwischen nationalen Regierungen. Hier liegt wohl der eigentliche Geburtsfehler der gemeinschaftlichen Währung. Nationale Regierungen sind dem Souverän (Wähler) eines einzelnen Staates verpflichtet. Nationale Regierungen sind höchstens indirekt – soweit es direkte Konsequenzen für die eigene Wahlbevölkerung hat – am gemeinschaftlichen Wohl einer Währungszone interessiert.

So war es auch kein Wunder, daß die Stabilitätskriterien nur so lange ihre volle Wirkung entfalteten, wie davon ein politischer Gewinn zu erwarten war. Durch den Beitritt zur Eurozone war der Gewinn erzielt. Da es keine glaubwürdigen Sanktionen gab, etwa die Möglichkeit des Ausschlusses aus der Gemeinschaftswährung bei Verletzung der Kriterien, war die disziplinierende Wirkung der Stabilitätskriterien im Moment der Euro-Implementierung verbraucht.
3. Keynesianische Wirtschafts- und Finanzpolitik hat die öffentlichen Haushalte ruiniert.

So war es kein Wunder, daß nach anderen politischen Gewinnen gesucht wurde. Nationale Regierungen fanden es auf einmal noch leichter als zuvor, Geld, das nicht vorhanden war, wählerwirksam auszugeben. Die Haushaltsdisziplin wurde überall deutlich lockerer und als erst – ausgerechnet – die deutsche Regierung klar machte, daß ihr an der Einhaltung der Stabilitätskriterien überhaupt nichts lag, sofern eigene politische Ziele (respektive das Gewinnen von Wahlen!) dadurch gefährdet waren, brachen alle Dämme. Niedrige Zinsen, ein Produkt der vorübergehenden Einhaltung der Konvergenzkriterien, taten ein übriges, um ein Leben auf Pump vor allem dort zu ermöglichen, wo dies auch schon vor der Euro-Einführung ein höchst beliebtes Mittel war. Dabei wurde allerdings übersehen, daß der frühere Ausweg einer kontinuierlichen Währungsabwertung künftig versperrt war.
Der gemeinsame Euro konnte so anfangen, vom Kitt zwischen Europas Volkswirtschaften zum Sprengsatz zu werden. Wurde im nördlichen Europa versucht, wirtschaftlichen Problemen mit einem gewissen Maß an Sparsamkeit und Disziplin zu begegnen, so neigten vor allem südeuropäische Regierungen dazu, eher noch mehr nicht vorhandenes Geld auszugeben, um wirtschaftliche Erfolge zu erzwingen, zumindest aber um Wählerwünsche zu befriedigen.

4. Durch die Abkehr der EZB von ihrem Kernauftrag der Sicherung der Geldwertstabilität hat die gemeinschaftliche Währung ebenso an Vertrauen verloren wie durch die völlig willkürliche Politik der europäischen Institutionen.
Allen Beteiligten muß klar sein, daß der Euro, so wie er bisher konstruiert ist, nicht überlebensfähig ist. Die Herstellung eines einheitlichen Wirtschafts- UND Währungsraumes ist derzeit nicht realisierbar. Zu viele Verfahrenshindernisse stehen im Weg. Eine zunehmend europakritische Bevölkerung wird kaum zu einer Verlagerung von nationalen Kompetenzen nach „Brüssel“ zu gewinnen sein. In vielen Staaten sind jedoch Plebiszite erforderlich, um solche Schritte zu unternehmen und um damit der gemeinschaftlichen Währung Glaubwürdigkeit zu verleihen. Auch in denjenigen Staaten, in „nur“ die Parlamente über solche Souveränitätsfragen zu befinden haben, wird es schwer sein, hierfür Mehrheiten zu finden.
Andererseits taugen zwischenstaatliche Vereinbarungen nicht dazu, den gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum zu erzwingen. Dies wurde gerade in Zypern deutlich, als noch nicht einmal die Abgeordneten der Regierungspartei, deren Chef in Brüssel die Schuldenvereinbarungen ausgehandelt hatte, im Parlament den notwendigen Beschlüssen zustimmten.
In dieser Notlage, die nicht erst seit der „Zypernkrise“ besteht, hat die EZB versucht zu retten, was eigentlich nicht zu retten ist. Schlimmer noch, die EZB hat unter Verletzung ihrer eigenen Glaubwürdigkeit Maßnahmen getroffen, die zwar einen Aufschub für notwendige (schmerzhafte) Entscheidungen gewähren, aber die grundlegenden Probleme nicht lösen kann. Durch den Ankauf von Schuldtiteln von in Bedrängnis geratenen Staaten werden die Akteure an den Finanzmärkten vordergründig beruhigt. Sie können ihre Staats-„Wertpapiere“ weiterhin loswerden. Dadurch wird ein Run auf die Banken einstweilen verhindert, die Glaubwürdigkeit des Euro als einer stabilen Währung jedoch weiter unterminiert.
Zu allem Überfluß geraten die nationalen Regierungen nun vollends in Panik. Zypern – besser gesagt: der griechische Teil Zyperns -, dessen Wirtschaft gerade einmal 1,2 % des Bruttosozialprodukts der Eurozone ausmacht, kann für sich genommen selbst bei einer Totalpleite nicht für den Untergang der Eurozone sorgen. Die sogenannten „systemrelevanten“ Banken, deren Zahlungsunfähigkeit zu einer Kettenreaktion führen würde, hätten im Falle der 100%igen Abschreibung aller gegen Zypern gerichteten Forderungen nichts zu befürchten außer einer geringfügigen „Gewinndelle“. Trotzdem haben sich die Finanzminister der Eurozone zu einer Maßnahme hinreißen lassen, die bislang undenkbar erschien. Sie haben verfügt, daß alle Bankkunden Zyperns an der Rettung zu beteiligen sind. Individuelle Bankguthaben sollten per Dekret aus „Brüssel“ teilenteignet werden, ohne daß es dafür eine Rechtsgrundlage gegeben hätte. Diese sollte das zypriotische Parlament erst im Nachhinein beschließen.

Welche Zukunft ist dem Euro beschieden?
Aus allem Vorstehenden ist nur schwer zu begründen, daß dem Euro eine tragfähige Zukunft beschieden sein kann. Sollten die „Väter“ der Kunstwährung gehofft haben, daß diese zu einem wirklichen Zusammenschluß des „alten Kontinents“ führen müsse, so wäre es jetzt spätestens an der Zeit, diese Vision mit Leben zu erfüllen. Doch woher soll die politische Kraft herrühren, die solch epochalen Entscheidungen den Weg bereitet?

Der bisher gegangene Weg, den Euro am Leben zu erhalten durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, ist gescheitert. Spätestens durch die vollkommen deplatzierten Entscheidungen im Zusammenhang mit der Krise in Zypern, ist jede Glaubwürdigkeit dahin. Selbst bisher als unantastbar geltende Prinzipien wie das Recht auf Eigentum können offenbar vollkommen willkürlich im Kreise der europäischen Finanzminister außer Kraft gesetzt werden. Wenn solche massiven Eingriffe in die allgemein europaweit akzeptierte Rechtsordnung schon begründet werden können durch den befürchteten finanziellen Ausfall eines Ministaates wie Zypern, was könnte geschehen, wenn erst ein wirkliches Schwergewicht der Eurozone in Bredouille geraten würde? Soll so Vertrauen wachsen in den Euro??

Der Euro in seiner bisherigen Form ist eine „frankensteinische“ Fehlgeburt. Bevor das Monster Europa in den Abgrund zieht, sollte eine Exit-Strategie gesucht werden. Die friedliche Einigung des über Jahrhunderte tief zerstrittenen und verfeindeten Kontinents ist zu wertvoll, um sie einer Schimäre wegen zu gefährden, selbst wenn dies die Finanzmärkte vorübergehend in die Krise stürzen würde.

(Claus Dehl, Washington)

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