Deutschland meldet sich de facto aus der NATO ab

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist

Der gemeinsame Fernsehauftritt der Kanzlerin und der Verteidigungsministerin am 14.Mai 2018 war pure Volksverdummung.

Im Jahre 2014 hat sich die deutsche Regierung mit allen relevanten Ministern – in vorderster Front der ehemalige Außenminister Steinmeier – gegenüber den damals 27 NATO-Mitgliedstaaten verpflichtet, die damaligen Verteidigungsausgaben von von 1,2 Prozent bis zum Jahre 2024 auf zwei Prozent anzuheben.

Jetzt verkünden Merkel und von der Leyen, dass Deutschland bereit sei, seine Verteidigungsausgaben bis 2025 auf 1,5 Prozent anzuheben.

Das ist ein klarer Bruch des Abkommens von 2014.

Jetzt werden Nebelkerzen verschossen: „Die Bundeswehr ist nicht in der Lage, dieses viele Geld überhaupt zu verplanen und auszugeben“. Die Erhöhung wird jetzt von damaligen Unterzeichnern (Steinmeier) als „Säbelrasseln“ oder „Zahlenfetischismus(Gabriel) bezeichnet.Zustand der Bundeswehr

Die Berichte der wenigen seriösen Medien zeichnen bis auf den heutigen Tag das Bild einer maroden Truppe mit gravierenden Defiziten bei Personal und Material, deren Beseitigung viel Geld erfordert. Die Einsatzbereitschaft bei Kampffahrzeugen, Luftfahrzeugen und U-Booten ist weit unter dem Soll.

Das Ergebnis: Die BW wird als „nicht einsatzbereit“ eingestuft und kann die eingegangenen NATO-Verpflichtungen nicht mehr leisten.

Dem Verfasser drängt sich seit einigen Jahren der Verdacht auf, dass die deutschen Regierungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft diesen erbärmlichen Zustand bewusst herbeigeführt haben: die strukturelle Nichteinsatzfähigkeit. Nach dem Motto: Wenn man offenkundig „nicht einsatzbereit“ ist, wird man schon bei mittleren NATO-Einsätzen nicht um Teilnahme gebeten – siehe den Schlag gegen Syrien nach dessen Überschreiten der „roten Linie“.

Dabei ging es nicht um eine Teilhabe an Luftangriffen, sondern um Bündnissolidarität. Die Palette der möglichen Teilhabe ist sehr groß. Selbst diese Bundeswehr hätte einen symbolischen Beitrag leisten können, wenn der politische Wille nicht gefehlt hätte.

Die sicherheitspolitische Lage nach 2014

Was hat sich seit 2014 in der globalen Sicherheitslage geändert? Die Lage ist noch kritischer geworden. Die Konfliktherde, die auch Auswirkungen auf Deutschland haben, sind zahlreicher geworden – von dem südchinesischen Meer über den Nahen/Mittleren Osten bis zu terroristischen Attacken in Zentraleuropa. Äußere und innere Sicherheit sind nicht mehr voneinander zu trennen.

Angesichts der gestiegenen Unsicherheiten ist es blanker Zynismus und Verantwortungslosigkeit, in beiden Bereichen weiterhin zu wenig zu tun. Die staatliche Sicherheitsvorsorge ist „Chefsache“.

Die Zahl 2025 liegt – hoffentlich – jenseits der Amtszeiten von Merkel und von der Leyen, aber was kommt danach? Es ist nicht zu erwarten, dass die nächste Regierung – spätestens – ab 2021 das Ruder herumreißt – unabhängig von der politischen Farbkombination.

Was heißt das für die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten?

Der Dienst in der Bundeswehr, die von der Leyen zum attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands machen wollte, wird zur Lachnummer im In- und Ausland.

Schlimm wird es zum Beispiel für Piloten. Wegen fehlender „Fluggeräte“ bekommen sie zu wenige Flugstunden, um ihre Flugerlaubnis zu erhalten. Sie müssen vermehrt Bürodienst leisten, den sie nicht als Wunschverwendung ansehen. Sie verlieren auch ihre Fliegerzulage, was für sie und ihre Familien einen herben Rückschlag bedeutet. Wer kann, wird die Bundeswehr verlassen.

Im Heer fehlen genügend Waffen und Geräte für die Ausbildung, da das meiste Gerät für die zu vielen Auslandseinsätze zusammengekratzt werden muss. Eine tolle Vorbereitung für den nächsten Auslandseinsatz.

Dazu kommt jetzt wieder die Landes- und Bündnisverteidigung, die in den letzten Jahren stark vernachlässigt worden ist. Das ist durch kameradschaftliches Schulterklopfen mit dem „beruhigenden“ Spruch: „Sie schaffen das schon“ nicht zu ändern.

In der Marine können zu viele Schiffe und Boote in den Werften von außen und unten betrachtet werden. Da entsteht kein „Fernweh“.

Insgesamt ist es Negativwerbung für die Bundeswehr. Wer geht als qualifizierter und ehrgeiziger junger Mensch zu dieser maroden Bundeswehr? Welche Eltern raten zu einem Dienst in dieser Bundeswehr? Zumal die Konjunktur die Betriebe in die Lage versetzt, qualifizierte junge Menschen heimatnah und gut bezahlt bei sich zu halten.

Die Träume der Politik

Im Kontrast zu der angesprochenen Einsatzbereitschaft erleben wir seit Jahren – auch durch den ehemaligen Bundespräsidenten Gauck – das Gerede von verantwortlichen Politikern zur Übernahme von mehr „Verantwortung“. Auch der forsche Außenminister Maas spricht davon und fordert vor der UN-Vollversammlung einen Sitz für Deutschland im VN-Sicherheitsrat. Da fehlt jedoch die militärische und finanzielle Substanz. Man kann nicht immer andere Mitgliedsstaaten in Einsätze schicken, ohne sich selbst zu beteiligen.

Dieser mögliche Sitz wird die Unfähigkeit des Sicherheitsrates nicht verändern, schnell Entscheidungen zu treffen, wenn ständige Mitglieder – wie z.B. wiederholt China und Russland sowie gelegentlich die USA – die Verabschiedung von ihnen und ihren Partnern unangenehmen Entscheidungen verhindern. Eine Strukturänderung des Sicherheitsrates wird seit Jahren gefordert, aber wird wegen der angesprochenen Blockadehaltung der Veto-Mächte ein Wunschtraum bleiben.

Verantwortung von militärischer Führung und Parlament

Noch ein Wort zur militärischen Führung. Sie verwechselt seit Jahren das „Primat“ der Politik mit einem „Diktat“ der Politik.

In den Festreden zum 20.Juli wird seit Jahrzehnten von dem Recht und der Pflicht zum Widerstand „gepredigt“.

Der Verfasser muss lange zurückdenken, um ein zartes Pflänzlein des Widerstandes durch Generäle oder Admiräle oder Stabsoffiziere zu erkennen. Es begann unter dem Minister Volker Rühe, Andersdenkende zu maßregeln und kalt zu stellen. Unter von der Leyen wurde dieses System perfektioniert.

Das Parlament hat die Bundeswehr als Parlamentsarmee vereinnahmt, aber keine Verantwortung übernommen.

Eine Kontrolle, ob die Bundeswehr in Einsätzen die angemessene Ausrüstung und Bewaffnung erhalten hat, hat es nur selten gegeben.

Ausblick für unsere Bundeswehr und Deutschland

Die Verteidigungshaushalte bis 2025 reichen nicht, die offenkundigen materiellen und personellen Defizite zu mildern, von wettmachen kann keine Rede sein.

Das Ansehen Deutschlands in der NATO wird weiter sinken.

Der politische Vorteil: Deutschland wird nicht mehr gefragt. Ein Problem bleibt ungelöst: Die unfaire Lastenteilung – in erster Linie zu Lasten der USA – bleibt bestehen. Im Gegensatz zu den meisten europäischen Regierenden sieht Donald Trump wichtige Zusammenhänge: Alles hängt mit allem zusammen. So auch der Streit um Zölle und Verteidigungsausgaben.

Die USA sehen sich seit Jahren mit einer Beteiligung von 72 Prozent als größten Financier der NATO. Diese Tatsache wird von den Europäern seit Jahrzehnten ignoriert.

Deutschland feiert sich mit dem riesigen Handelsüberschuss dank des Exportes oder auch als Urlaubsweltmeister. Es beklagt jedoch die hohe Verschuldung der USA – die auch die sehr hohen Verteidigungsausgaben verursacht haben. Die USA geben für Forschung und Entwicklung mehr Geld aus als der gesamte deutsche Verteidigungshauhalt umfasst.

Ein bescheidenes Entgegenkommen der Europäer könnte Donald Trump zu einem Entgegenkommen im Handelsstreit führen. Könnte!

Der Verfasser wäre nicht überrascht, wenn Donald Trump sein finanzielles und militärisches Engagement in und für Europa zu Gunsten der asiatisch-pazifischen Region verringern würde. Dort spielt die Musik – schon lange nicht mehr in Europa, das auch nicht mit einer Stimme sprechen kann.

Die Europäer sind nicht bereit, die möglicherweise entstehenden Lücken zu schließen. Die Baltischen Staaten wären dann einem sehr großen Risiko ausgesetzt.

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Siehe auch den Beitrag des Verfassers vom 12.04.2018: https://www.conservo.blog/2018/04/12/wie-sind-die-bundeswehr-und-unsere-streitkraefte-zu-retten/

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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.

Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.

Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.

In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.

Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.

Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.

Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.

Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.

www.conservo.wordpress.com      16.05.2018
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Conservo-Redaktion