Bin ich ein Europäer?

(www.conservo.wordpress.com)

Von Ulfried *)

Als Trucker war ich von Italien über Frankreich, Benelux bis Großbritannien und Irland unterwegs und habe oftmals meine Eindrücke auf conservo geschildert.

Ich sage es offen; England und Frankreich wurden mir zur zweiten Heimat. Ein Jahr lang habe ich auch in Irland einen Truck gefahren – von Tralee bis Ludwigsburg/ Ulm und wieder zurück nach Irland. Das war eine Wochen-Tour, die knallhart war. Irland habe ich nie gemocht. Soviel Lüge und Betrug habe ich selten erlebt wie in Irland. Dennoch denke ich mit einem Schmunzeln an diese Zeit 2004- 07.

Die Iren sind halt so.

In Irland ist es Usus, daß du deinen Lohn jede Woche bekommst, meist per Scheck – falls der nicht platzt.

Diese Tour war nur zu schaffen, wenn du mit der Fahrer-Karte dich selbst und die Polizei betrügst.

Die europäische und britische Polizei zu betrügen, ist schwer und kann verhängnisvolle Folgen haben. Die Polizei in Irland, die GARDA, dagegen konnte damals eine Karte nicht auslesen, und so konnte ich auf der Insel unter dem Namen meines Chefs Bryan P. (Wexford) unbesorgt fahren, ohne daß die etwas merkten. Manchmal wurde ich kontrolliert, doch die Garda haben nie verglichen, daß ich Ulfried und nicht Bryan heiße.

Mich selbst habe ich dabei jedoch beschissen – meine Freizeit war dadurch fast NULL.

Es platzte auch ein Scheck nach dem anderen, und ich wußte nichts davon. Hab trotzdem mein Geld bekommen.

Es war immer die gleiche Routine. Sonntagmorgen setzte ich von Calais nach Großbritannien über und fuhr auf der M4 Richtung Fishguard oder Pembroke zur Fähre nach Irland. Die Polizei und Zoll kannte ich dadurch, und wir haben gern Kaffee miteinander getrunken.

Wenn ich Sonntagmorgen auf der M4 Richting Wales unterwegs war, freute ich mich immer auf eine BBC-Wales Sendung, die hieß:

„The golden jears of entertainmant“. Das war meine Musik! Vergesse ich nie!

Eine Zoll- Beamtin fragte mich in Pembroke mal: „you com from?“

Es war die Sarah, ich antwortete: „Weißt du doch, Germany.“ „Nein, wo genau?“

Ich: „Mach deinen Computer an und such ODENWALD“.

Als die mein Dorf sah meinte sie: „Das ist toll, da möchte ich mal Urlaub machen bei dir“.

Ich antwortete. „Ich auch.“

Ich sage es ganz offen, es überkommt mich heut noch eine gewisse Melancholie, wenn ich daran denke, all die lieben Menschen nie wieder zu sehen, die ich während meiner Jahre als Trucker kennenlernen durfte.

Klar, wir haben uns auch manchmal richtig in die Wolle gekriegt, doch wenn ich an Abende denke, als ich zu einem irischen Abendessen in Tralee eingeladen wurde, als ich von netten Menschen in Brie (Frankreich) zu Tisch geladen wurde, als mir polnische Kollegen zu Hilfe kamen, als ich in Beau Marais von Afrikanern angegriffen wurde… oder in Marseille…

Boris Johnson, ich kannte dich noch als OB von London. Hast dort einen grottenschlechten Nachfolger hinterlassen. Hoffentlich machst du jetzt nicht nochmal so’n Mist!

Ich wurde jetzt 66, und die Zeit der großen Touren ist vorbei Ich kann’s noch nicht fassen.

Jetzt wo ich diese Zeilen schreibe, kommen mir trotzdem die Tränen. Wir sehen uns wohl nie wieder.

Liebe Freunde in GB, Frankreich, Italien, Irland. Liebe Kollegen:

EU ist nicht Brüssel und seine Schmarotzer! EU – das sind wir! Wir sind die wahren Europäer!

Machen wir das Beste daraus – es geht um unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel!

Lieben Gruß an euch alle!

Ulfried

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*) Ulfried ist seit vielen Jahren Kommentator auf conservo, stets geachtet – manchmal auch gefürchtet – wegen seiner „treffenden“ Anmerkungen zu Land und Leuten, denen er begegnete. Dabei bewies er sich als wahrer Philosoph hinter einem LKW-Lenkrad, behielt immer Bodenhaftung und war für uns Leser “Volkes Stimme”! Danke dafür!

Ich wünsche Dir für Deinen Ruhestand Glück, Freude, Zufriedenheit und Gottes Segen. Und vielleicht greifst Du ab und zu doch wieder zu Deiner kritischen Feder.

Cheerio, dear Ulfried! God bless You!

Dein Peter

www.conservo.wordpress.com   16.10.2019
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