Beethoven-Jahr 2020 – mal ´was anderes als Corona

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Lieben Sie Musik?

Ludwig van Beethoven (1770–1827); idealisierendes Gemälde von Joseph Karl Stieler, ca. 1820

Beat? Pop? Heavy Metal? Jazz? Klassik? Oder anderes? Ganz egal, welche Richtung: Wer Musik liebt, wird auch Beethoven lieben! Ihm lag Musik im Blut – und sein Blut war häufig in Wallung, aber auch mal ganz ruhig. Wer will, findet in Beethovens Musik alle Stimmungen, alle Launen, alle Trauer und alle Freude vertreten. Voraussetzung: Man „hört“ nicht nur Beethoven, sondern man (er)lebt mit ihm.

Und gleich vorweg: Da bleibt kein Platz, kein Ohr, für Sentimentalität, aber viel Platz für Gefühl und „Passion“ – in jeder Richtung. Bei aller Zartheit, der er geradezu liebevoll Ausdruck verleihen konnte, beeindruckt ebenso die Wucht der Komposition, die Wucht der Begeisterung und auch der Verzweiflung.

Wer jemals Stanley Kubricks genialen Film „Clockwork Orange“ gesehen (und gehört) hat, kennt die Wucht Beethovenscher Musik und weiß, daß dieser „Ludwig van…“ (Kubrick) alle und alles mitreißen kann. Wie mickrig dagegen das Musikantengedudel von heute – banale Texte, anspruchslose Töne!

Beethovens Kompositionen sind ungeachtet ihrer Kraft voller Wärme und begleiten uns durch unser ganzes Leben – durch gute und schlechte Zeiten. Die Menschen sind oft zu Tränen gerührt von der Zartheit, der Verzweiflung, der Hoffnung in seiner Musik, bei deren Entwicklung er immer nach vorne geschaut und stets für Menschlichkeit, Humanität und die Freiheit Aller gekämpft hat.

Manchmal genügen schon drei, vier Töne – und alle wissen, was gemeint ist. Hören Sie´s? „Da-da-da-daah!“ – So klopft das Schicksal an die Tür! Beethovens Fünfte, die Schicksalssymphonie – geboren aus Genialität und Schlichtheit. Da kann man als Normalsterblicher nur niederknien und der unermeßlich großen Kunst huldigen.

Beethoven hat romantische Sonaten komponiert, gewaltige Symphonien geschrieben, den Himmel vertont und Götterfunken sprühen lassen. Mit seiner „Missa Solemnis“ hat er die musikalische Gattung der christlichen Messe neu erfunden. Beethoven habe damit etwas geschaffen, „das alle bisherigen Messen in den Schatten stellte“, schreibt Jan Assmann.

Und doch waren alle seine Werke verschieden, haben sich nie wiederholt. Jedes Stück seines umfassenden Œvres hat einen eigenen Charakter.

Der geneigte Hörer mag es ahnen: Ich liebe Beethoven! Es ist ein Geschenk der Geschichte, daß wir mit diesem Titanen der Musik ausgerechnet im bedrückenden Corona-Jahr seinen 250. Geburtstag *) feiern durften.

*) Anmerkung: Ludwig van Beethovens Geburtstag ist nicht genau bekannt, man hat sich auf den 16. Dezember verständigt, weil wenigstens das Taufdatum urkundlich festgehalten ist: Am 17. Dezember 1770 wurde er in Bonn katholisch getauft. Und wegen der damaligen hohen Säuglingssterblichkeit wollte man die Neugeborenen so schnell wie möglich taufen lassen, damit sie „in den Himmel kommen“ können. Anm. Ende)

Ein Genie kann man ein ganzes Jahr lang feiern, und so hat man es nicht nur in seinem Geburtsort Bonn und in seiner späteren Wahlheimat Wien zelebriert, sondern auch an vielen anderen musikalisch bewegten Orten rund um den Globus: Corona-bedingt eingeschränkt, aber trotzdem mit viel Energie.

Energie war sein Markenzeichen. Unbändige Energie.

So sehen wir ihn noch heute mit wildem Haar als Büste auf unzähligen Klavieren stehen, so prangt sein stattliches Haupt seit Jahrzehnten auf Plattenhüllen, Postern und Konzertkarten. Ludwig van Beethoven war – so ist überliefert – ein begnadeter Pianist, vor allem aber ein akribisch arbeitender Komponist. Anders als Mozart, der geniale Melodien quasi im Vorbeigehen aus dem Ärmel schüttelt konnte, rang Beethoven um jede – einzelne – verdammte – Note. Der perfekte Klang war sein Ziel. So schuf er einige der schönsten Klavierkonzerte aller Zeiten.

Sein fünftes beispielsweise – übrigens mein Lieblingsstück –, das er hungrig, klamm und krank in die Notenblätter kritzelte, während Wien von napoleonischen Truppen bombardiert wurde. Obwohl er da schon fast vollständig taub war, hörte er unter seinem Kopfkissen den elenden Schlachtenlärm. Also verwandelte er ihn in Noten und ließ musikalisch die Kanonen donnern.

Ode an die Freude

Und dann aber auch das: Er schenkte der Welt – was leider allzu oft verkitscht wird – die Mondscheinsonate, er schrieb die „Ballade“ „Für Elise“, an dem bis heute kein Klavierschüler vorbeikommt. Und er schuf die Jahrtausendmelodie im letzten Satz seiner 9. Symphonie, mit der er Schillers „Ode an die Freude“ in den Klanghimmel erhob.

Ein Chor in einer Symphonie!

Damals war das eine musikalische Revolution, die Zuhörer müssen einen ähnlichen Inspirationsschock erlebt haben. Heute ist dieses Lied, die „Ode an die Freude“, die strahlende Hymne des vereinigten Europas. Sie wird – als „Europahymne“ – jeden Abend kurz vor Mitternacht im Deutschlandfunk gespielt.

Zwei, die sich in ihrer Genialität ergänzen: Beethoven war ein Schiller-Verehrer.

Ihn haben die großen Worte – und Schiller lag ihm da offenbar näher denn Goethe – sein Leben lang sehr fasziniert. Wer schreibt schon „Freude schöner Götterfunken“ und dann „wir betreten feuertrunken“? So stelle ich mir Beethovens musikalische Aussage in Textform vor. Unerreicht!

Zur Abrundung unseres Beethoven-Bildes möchte ich noch einen Aspekt besteuern, den ich dem Kabarettisten und Beethoven-Kenner Konrad Beikircher verdanke:

Beethovens Gottesfurcht – nicht Gottesfurcht im Sinne von Angst, sondern von Achtung und Ehrfurcht

Von Beikircher stammt der Satz:

„Beethovens Glaube an Gott sprengte die Konfession und Konvention.“

Das ist heute weniger bekannt, weil eine gottlose Musikschickeria davon ausgeht, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein „freier Geist“ wie Beethoven – und Gott, das geht gar nicht!

Aber Beikircher weiter: „Der Glaube an dieses ´jene höhere Wesen`, also eigentlich ein Deismus, aber konfessionsfrei, das da oben über dem Sternenzelt existiert und alles zusammenhält, der war unerschütterlich in ihm. Da gibt es wirklich viele Stellen, wo er darauf immer wieder Bezug nimmt. Aber das war ein abstrakter, schon fast ein agnostischer Glaube, möchte ich beinahe sagen. Von der Aufklärung her ist klar: Der Vatikan kann es nicht sein; die Pfarrer können es nicht sein, egal, welcher Konfession. Sondern: Das ist da drüber. Ohne Aufklärung – glaube ich – kann man Beethovens Verhältnis zur Religion gar nicht verstehen“ (…)

„…Ich glaube, da war er dann in diesem Thema – schon mal ein Gebet in den Himmel zu schicken – stärker drin, daß es ihm vielleicht näher lag. Andererseits: gleich einen ganzen Satz zu komponieren… Zum Beispiel im Heiligenstädter Testament rekurriert er immer wieder auf diese abstrakte Macht, auf diese große Kraft, die alles zusammenhält, auf Gott.

Der Mensch war ihm schon heilig. Es ging ihm darum, den Menschen zu besseren Gefühlen, zu höheren Sphären fühlen zu lassen, ihm zu helfen, in größeren Einheiten zu denken – mit mehr Verantwortung anderer Menschen gegenüber. Das war ihm schon heilig – die Menschheit. Bei der „Missa solemnis“ hat er Briefe geschrieben. Er möchte mit dieser Messe Menschen zu religiösen Gefühlen anregen. Das heißt, er hat den Gedanken tatsächlich gehabt als Komponist: Ich möchte Menschen da schon religiös ansprechen.

Daß er das aber dachte – und er hat sich ja vorbereitet wie wahnsinnig. Er hat Gregorianik studiert, hat auch aus anderen Religionen Gesänge und Musik sich angeschaut. Also, er wollte ein umfassendes Menschheitsbekenntnis zu Gott und zur überindividuellen Verantwortung schaffen. Das ist, glaube ich, etwas, was ihn getrieben hat und geprägt hat. Insofern, ja, ein Glauben natürlich an die höhere Macht über dem Sternenzelt, die unerreichbar ist, aber zu der er streben will, den Glauben an die Kunst…“

So lebt er in unseren Ohren und Herzen fort, der große Ludwig. Unglaublich, daß er seine eigene Musik nicht mehr hören konnte – und dennoch die größten Kompositionen schuf. Am Ende blieb ihm nur die Stille. Umso genauer dürfen wir heute hinhören.

Vom Ende seines Lebens, kurz vor seinem Tod, ist etwas Interessantes überliefert, was den Glauben anbetrifft. Er soll in den letzten Stunden gesagt haben: „Ich trotze euch feindlichen Mächten, weichet von mir, Gott ist mit mir.“ „Gott ist mit mir.“ Das klingt doch, als habe er eine Mission empfunden.

Bis heute zählt Beethoven zu den meistgespielten Komponisten der Welt.

www.conservo.wordpress.com    21.12.2020
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