Zwischen Gorbimanie und Gorbophobie – Kaum Zeit für Trauer und Abschied!

Peter Helmes

Eine Manie, diagnostizierten die Einen, weil Michail Gorbatschow zu Beginn seiner Amtszeit als „Erlöserfigur“ wahrgenommen wurde und im Westen bis heute für sein Lebenswerk geehrt wird. Eine Phobie nannten es die anderen vor allem in seiner Heimat Russland, wo er für den Untergang der Sowjetunion verantwortlich gemacht wurde und wird. 

Mit „Gorbi, Gorbi!“-Rufen begrüßten die Ost-Berliner im Oktober 1989 den damaligen Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow. Von seiner Reformpolitik erhofften sich die Bürger der DDR und anderer Staaten des Ostblocks mehr Freiheit und Demokratie. Der Fall der Mauer einige Monate später ist untrennbar mit dem Namen Michail Gorbatschow verbunden. 1990 erhält er für sein Engagement den Friedensnobelpreis. Held für die einen, Sündenbock für die anderen. 

Für viele Russen ist Gorbatschow der Zerstörer des “Reichs”!

Während viele Medien in Deutschland und den USA Gorbatschows Politik der Perestroika und Glasnost – also Umgestaltung und Offenheit – würdigen, gehen russische Medien scharf mit ihm ins Gericht. Dort gilt Gorbatschow weiterhin als Sündenbock. Die staatliche Nachrichtenagentur „RIA Novosti“ nennt den Verstorbenen in einer Meldung gar das „Objekt eines intensiven Hasses eines großen Teils seiner Mitbürger“, weil er die Sowjetunion zerstört habe und „für den Albtraum der 1990er Jahre“ verantwortlich gemacht werde. 

So erinnert die Nowaja Gaseta online an ihren Mit-Eigentümer Gorbatschow: „Er hat dem Land und der Welt ein unglaubliches Geschenk gemacht – er hat uns dreißig Jahre Frieden beschert – ohne die Gefahr eines globalen und nuklearen Krieges. Sie kommt aber gleichzeitig zu dem Schluß: „Das Geschenk ist vorbei. Das Geschenk ist weg. Und es wird keine Geschenke mehr geben.“ (Die Nowaja Gaseta mußte in Russland ihr Erscheinen einstellen und publiziert mittlerweile aus dem Exil.) 

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben…“ 

Einen solchen Satz hat Gorbatschow wörtlich nie gesagt, aber der Sinn entsprach seiner Haltung. Es war ein langes Statement. Aber an die genauen Worte erinnerte sich, wie so oft beim Fernsehen, nachher niemand mehr. Die Szene an sich war die Botschaft. Ungefähr 30 Millionen Zuschauer sahen die Sternstunde am Abend in der Tagesschau. Am Tag danach, am 7. Oktober, passierte alles zur gleichen Zeit…  Da stand plötzlich in allen Medien dieser Satz: ‚Wer zu spät kommt…‘. Daraus wurde ein Schlüsselwort zur deutschen Einheit – der Anfang vom Ende der DDR. 

Der wahre Autor dieses Zitats war wahrscheinlich Gorbatschows Pressesprecher Gerassimov.  Der nämlich hatte einigen Journalisten zuvor noch vom angespannten Verlauf der gemeinsamen Sitzung des SED-Politbüros mit seinem hohen, aber ungeliebten Gast berichtet, der eigens zu diesem 40. Jahrestag der DDR-Gründung aus Moskau angereist war. Und dort sei sinngemäß, aber natürlich nicht-öffentlich, dieser Satz gefallen – an die Adresse von Erich Honecker samt dessen SED-Führungsriege. Die Fernsehbilder vom Vortag sowie der griffige Sinnspruch verschmolzen sogleich in eins – bis auf den heutigen Tag. 

Gorbatschows Blick auf die USA war wohlwollernder

Gorbatschow schaffte es in kurzer Zeit, die zuletzt erratisch anmutende sowjetische Außenpolitik seiner direkten Vorgänger aufzulockern. Egon Bahr etwa, einer der SPD-Architekten der Ost- und Entspannungspolitik noch aus den siebziger Jahren, lobte schon im Frühsommer 1987 flexibles Denken bei Gorbatschow: 

„Er betrachtet die Außenpolitik der Sowjetunion nicht mehr unter dem Prisma der Ausschließlichkeit zu den Vereinigten Staaten. Ich glaube, daß es interessante, neue Ansätze geben wird, wenn sie von Westeuropa entsprechend gefördert oder beantwortet werden.“ 

Egon Bahr täuschte sich nicht. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt wohl noch kaum jemand vorausahnte, welche erstaunliche Dynamik die Ost-West-Politik nun entwickeln wird, um schließlich nur zweieinhalb Jahre später die Berliner Mauer zum Einsturz zu bringen. 

Ende des Afghanistan-Krieges markierte eine “Zeitenwende”

„Er hat erkannt, daß die Sowjetunion den Wettlauf mit dem Westen so nicht durchhalten kann. Er hat erkannt, daß der Versuch, die ökonomische Unterlegenheit militärisch zu kompensieren, sein Land ökonomisch immer weiter zurückwirft und (deshalb) vor einem Zirkel des Abgrunds steht, aus dem er heraus muß…“, meint im Rückblick der Bremer Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede.

Er spielt in diesem Zusammenhang auch an auf den Krieg, den die UdSSR seit Dezember 1979 in Afghanistan führt, ideologisch getarnt als proletarisch-internationalistische Bruderhilfe für eine von Moskau völlig abhängige Vasallen-Clique in Kabul. – Gorbatschow beendete 1989 schließlich diesen Stellvertreter-Krieg und zog die Sowjettruppen aus Afghanistan ab: Eine große Hypothek, um endlich substanzielle Abrüstungsgespräche mit dem Westen führen zu können, war damit abgelöst. 

Perestroika und Glasnost 

Während Gorbatschow im Ausland für diese Politik, für sein neues Denken zunehmend gelobt und gefeiert wurde, wollte es zuhause mit seiner Reformpolitik nicht so recht vorangehen. -Schon 1986, ein Jahr nach seinem Amtsantritt, mußte er sich der ernüchternden wirtschaftlichen und sozialen Wirklichkeit stellen, mit der das Riesenreich UdSSR inzwischen zu kämpfen hatte. Zwar sorgten anfangs die unionsweit vom Fernsehen übertragenen sogenannten Begegnungen Gorbatschows mit den Werktätigen für eine positive Resonanz.

Und auch die von ihm propagierten Schlagworte perestrojka (Umbau der Wirtschaft) und glasnost (ein Synonym für allgemeine Transparenz, weitestgehende Medienfreiheit samt liberalerer Kulturpolitik) trafen zunächst auf große Begeisterung. Gorbatschow versuchte – oft begleitet von seiner Ehefrau Raissa – die Menschen zwischen Weißrussland im Westen und der pazifischen Küste in Fernost bei diversen öffentlichen Auftritten von seinen Reformplänen zu überzeugen: 

„Die Probleme werden zunehmen. Wenn die Perestrojka alle Schichten der Gesellschaft erfaßt, dann wird das ein schwieriger Prozeß sein. Nicht gut wäre, wenn sich die Gesellschaft als Resultat der Perestrojka spalten würde. Die Gesellschaft sollte sich vielmehr zusammenschließen und zwar auch qualitativ! Die Hauptkontrolle bei uns wird über die Demokratie der Werktätigen erfolgen. Natürlich muß es die Parteikontrolle geben…. Die Partei muß das in die Hand nehmen – und zwar fest! Das ist ein richtiger Gedanke!“ 

Unter Gorbatschow gab es keine neuen politischen Gefangenen

Der Historiker Nikita Petrov von der Moskauer Menschenrechtsgesellschaft Memorial erinnert sich: Fast völlig verdrängt worden sei mittlerweile ein gar nicht hoch genug einzuschätzendes Verdienst aus der Zeit Gorbatschows: 

„Ab 1986 ist niemand mehr aus politischen Gründen ins Gefängnis oder ins Lager gekommen. Das war die Initiative von Gorbatschow! Jetzt war damit Schluß! Hier beginnt eine andere Geschichte der Sowjetunion. Plötzlich wußte jeder: Egal, was du auch sagst – ´sitzen` mußt du nicht mehr dafür! Das war ein Umbruch!“ 

Nach knapp sieben Jahrzehnten implodierte das Gebilde UdSSR. Auch Michail Gorbatschows politische Karriere fand am ersten Weihnachtsfeiertag 1991 ihr abruptes, aber friedliches Ende. Äußerlich gefaßt saß er zum letzten Mal hinter seinem Schreibtisch im Moskauer Kreml: 

„Liebe Landsleute, Mitbürger!”, faßt er sich kurz. „Unter dem Druck der augenblicklichen Situation beende ich meine Tätigkeit auf dem Posten des Staatspräsidenten der UdSSR.“ 

Was in diesem Augenblick aber tatsächlich in ihm vorging, wird er erst viele Jahre später erzählen: „Die rote Fahne, so heißt es, haben sie noch während meiner Fernsehansprache vom Kreml heruntergeholt, konnten gar nicht schnell genug aufs Dach kommen…. Schade, daß keiner von denen heruntergefallen ist. Schade, Herrgott nochmal!“ 

Boris Jelzin, der am Ende nur noch tragische Held

Gemeint war damit in erster Linie sein Rivale Boris Jelzin, der zwar einige Monate zuvor erfolgreich den Anti-Gorbatschow-Putsch beendet hatte, ihn danach aber zielstrebig zu entmachten begann. Am Ende mit Erfolg, so Wolfgang Eichwede, denn Gorbatschow habe sich nicht vorstellen können, „… daß sich Russland gegen die Sowjetunion wendet. Von mir aus: Die Esten schon irgendwie, oder die Armenier… Aber, daß sich das Bollwerk der Sowjetunion gegen ihn und die Sowjetunion wenden konnte, in der persönlichen Konstellation ´Jelzin – Gorbatschow‘, das hat er einfach nicht auf seinem Schirm gehabt. Im Übrigen: Wir auch nicht!“ 

„Unsere Gesellschaft erhielt ihre Freiheit, hat sich politisch und geistig aus ihrem Sklavendasein befreit – und das ist die allerwichtigste Errungenschaft, die uns immer noch nicht bis zu ihrer tiefsten Tiefe bewußt ist, weil wir nicht gelernt haben, die Freiheit zu nutzen. Aber dennoch ist das bisher Erreichte bereits von historischer Bedeutung: Das totalitäre System ist liquidiert, das unserem Land bislang die Möglichkeit vorenthalten hat, schon längst glücklich und blühend zu sein. Der Durchbruch zu demokratischen Veränderungen ist erfolgt. Freie Wahlen sind ebenso Wirklichkeit geworden wie Presse- und Religionsfreiheit, es herrscht Parteienvielfalt. Die Menschenrechte sind als oberstes Prinzip anerkannt!“ 

Diese Passage aus Gorbatschows Abschiedsansprache am 25. Dezember 1991 illustriert den sympathischen aber letztlich realitätsfernen, idealistischen Ansatz dieses Politikers, der immerhin knapp 30 Jahre lang die Ochsentour eines KP-Apparatschiks durchlaufen mußte, bis er sich – als Mitglied wechselnder Seilschaften und Fraktionen – zur Spitze der KPdSU durchboxte. Machtbewußt zu taktieren war ihm nicht fremd. Zugleich jedoch wurde deutlich, daß Gorbatschows politisches Analysevermögen begrenzt gewesen ist. Er hat nicht erkannt, daß im Staat und in weiten Teilen der russischen Gesellschaft jene Denk- und Verhaltensmuster nur zeitweilig auf Tauchstation gegangen sind, die sich aus reaktionären, repressiven und totalitären sowjetischen Traditionen speisen.  

Putin arbeitete von Beginn an gegen Gorbatschow

Und bitter für Gorbatschow: Für viele seiner russischen Landsleute bleibt er zeitlebens als Person wie Politiker in negativer Erinnerung. Die Kreml-Mannschaft unter seinem Nachfolger Putin bildet dabei sogar die Anti-Gorbatschow-Speerspitze, weiß der Moskauer Meinungsforscher Lew Gudkov: 

„Er reizt die Putin-Mannschaft. Putins Umgebung ist Gorbatschow gegenüber negativ eingestellt. Kein Wunder bei der imperialen Grundhaltung dieser Leute mit ihrer äußerst ausgeprägten Sehnsucht nach der Sowjetunion, nach den sowjetischen Zeiten. Schon deshalb ist er für sie der Sündenbock, der für alles herhalten muß.“ 

Doch keineswegs alle Menschen in Russland denken so. Arsenij Roginskij von der Moskauer Menschenrechtsorganisation Memorial plädiert für eine selbstkritische Sicht auf das Leben und Wirken des südrussischen Bauernsohnes Gorbatschow, den Vater von glasnost und perestrojka, den wichtigen Wegbereiter der deutschen Einheit 1989/90: 

Wir waren endlos naiv, als wir von ihm dieses und dann noch jenes gefordert haben. Aber, mein Gott, alles in allem haben wir mit Gorbatschow insgesamt doch Glück gehabt. Und daß es ihn gegeben hat.“ 

Gorbatschows bleibende historische Bedeutung, so Wolfgang Eichwede, bestehe in der Einsicht: „Daß, als er gesehen hat, daß die Geschichte über ihn weggeht, er sich nicht militärisch dagegengestellt hat. Also Gorbatschow ist – auf einen Satz gebracht – groß, durch das, was er probiert hat, und groß durch das, was er unterlassen hat.“ 

In Deutschland verkannte man Gorbis Ansehen in der Sowjetunion

Es ist interessant, so sehr „Gorbi“ im Westen geliebt wurde, wie man ihn dort liebevoll nennt, so sehr wurde er auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gehaßt. Allerdings kann man Gorbatschow nicht allein für den Zusammenbruch der UdSSR verantwortlich machen. Fakt ist, daß dieser Staat keine Unterstützung mehr in der Gesellschaft hatte.

Die UdSSR war ein seltsamer, sinnloser, dummer Staat. Angeblich gehörte alles dem Volk, aber niemand hatte etwas. Damals wartete man zehn Jahre lang darauf, ein Auto zu kaufen. Millionen verrotteten in Slums. Man sehnte sich nach etwas Komfort wie einem Badezimmer. Wer studieren wollte, mußte schmieren. Als die UdSSR zusammenbrach, wollten es alle. Und niemand trat hervor und verteidigte sie. Es braucht immer einen Sündenbock für historische Prozesse. Und Gorbatschow war der Sündenbock für uns Sowjetmenschen. 

Es war eine überraschende Erleichterung, als Michail Gorbatschow 1985 Generalsekretär der KPdSU wurde. Die Welt stand damals am Rande des nuklearen Abgrunds, und der erst 54-jährige Politiker hatte erkannt, daß der Verfall dem eigenen Land und nicht dem Westen drohte. Er beschloß, die Sowjetunion zu reformieren, nach außen zu öffnen und sich für den Frieden einsetzen. Heute ist Russland unter Putin wieder ein autoritäres Land und ähnelt stark dem System, wie Gorbatschow es erlebt hatte.  

Die Welt steht in seiner Schuld

Aber es war Gorbatschow, der den Kalten Krieg beendet, politische Häftlinge freigelassen, das Machtmonopol der kommunistischen Partei gebrochen und eine Debatte über die Verbrechen des Kommunismus eingeleitet hatte. Dafür steht die Welt in seiner Schuld. Die Verantwortung für die Entwicklung nach Gorbatschow liegt dagegen bei Jelzin und seinem fehlenden demokratischen Bewußtsein. Gorbatschow warnte auch bereits 2006 offen vor Putin.  

Frühere sowjetische Teilrepubliken und Marionettenstaaten wurden zu lebensfähigen Demokratien, die schon bald den Anschluß an die EU und die NATO suchten. Genau dieser Wunsch der Ukraine hat Putin dazu gebracht, erst Saboteure und schließlich Panzer und Soldaten über die Grenze zu schicken. Gorbatschow strebte nicht nach dem Zerfall der Sowjetunion, sondern er wollte einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Aber wenn die Menschen die Freiheit wittern, werden Kräfte freigesetzt, denen die Macht nicht immer widerstehen kann. Das ist Gorbatschows Erbe. 

Die andere Seite der Medaille 

Für seine demokratischen und offenen Ideen wurde Gorbatschow im Westen bejubelt, verehrt und mit Preisen überschüttet, wie dem Friedensnobelpreis und der amerikanischen Freiheitsmedaille. In der Tat gäbe es keine deutsche Einheit ohne den letzten Staatenlenker der Sowjetunion. Was war allerdings die Belohnung für Gorbatschows Handeln? Das zu beantworten, fordert auch offene Augen für die Gegenmeinung: 

Selbst die freiwillige Auflösung des Warschauer Pakts hat nicht verhindern können, daß sich die Nato fünfmal bis an die russische Grenze nach Osten erweitert hat. Seine größten Versäumnisse liegen darin, daß er vor lauter Illusionen der totalen Verwestlichung dem Land keinen eigenen Entwicklungsweg aufgezeigt hat. Die Folgen sind weitreichend: Die Sowjetunion ist in nicht einmal sechs Jahren zusammengebrochen, seine Kommunistische Partei verliert die Legitimität zum Regieren. Unter Gorbatschow ist Russland vielleicht ein wenig freier geworden. Glücklicher und reicher ist das russische Volk hingegen nicht. 

Ein Beispiel: Die EU hat entschieden, das Visa-Abkommen mit Russland aus dem Jahr 2007 einzufrieren. Eine solche Kollektivhaftung ist aber eine heikle Angelegenheit. Man kann die Menschen schlecht bei ihrer Einreise nach ihrer Einstellung befragen. Es ist offen, ob die von den Sanktionen betroffenen Personen wirklich darüber nachdenken, welchen Schaden Putins Politik anrichtet. Das Bewußtsein der russischen Gesellschaft wird sich auf diese Weise kaum beeinflussen lassen. Vielmehr könnte das Gegenteil passieren; denn die Mehrheit der Russen beklagt ohnehin schon länger eine Diskriminierung und Erniedrigung durch den Westen und richtet ihre Wut gegen Länder wie Litauen, die diese Sanktionen verhängt haben. 

Fazit: Das Erbe Gorbatschows 

Damit sich die Sowjetunion reformieren konnte, brauchte sie Ruhe auf internationaler Bühne. Daher die Abrüstungsgespräche und das grüne Licht für die Wiedervereinigung Deutschlands. Gorbatschow gab die Richtung vor und mischte sich weiter nicht in die Angelegenheiten der übrigen Länder ein. Genau deshalb endeten die kommunistischen Regimes in Mittel- und Osteuropa. Deren Spitzen ahmten Gorbatschow rhetorisch nach, verstanden ihn in Wirklichkeit aber überhaupt nicht. Und fielen letztlich ohne die Moskauer Krücken. So war Gorbatschow am Ende Schirmherr des Abzugs der Roten Armee sowie der Auflösung des Warschauer Pakts. Die Sowjetunion ist früher auseinandergefallen, als dort die Demokratie Fuß fassen konnte. 

Damit avancierte Gorbatschow zum Helden im Westen, als er damit begann, einseitige Schritte zu machen: Abrüstung, Abzug aus Afghanistan, Freigabe des Ostblocks, deutsche Wiedervereinigung. Bekommen hat er dafür nichts als leere Worte. Gorbatschow war überzeugt, daß die Nato im Gegenzug auf eine Erweiterung bis an die Grenzen Russlands verzichten würde und man neue, gemeinsame Bündnisse aufbauen würde: Moskau wollte einen angemessenen Platz im ‚Haus Europa‘. Doch daraus wurde nichts. Dafür bekam er 1990 den Friedensnobelpreis. 

Er hat die Welt umgewälzt, ohne es zu schaffen, sein Land zu verändern. Aber wer wären wir, die Gründe dieses Scheiterns angesichts des Ausmaßes der weltweiten Ereignisse, die Gorbatschow ausgelöst hat, zu bewerten? Dieses Erbe läßt sich nicht zerstückeln, es wird als Ganzes verteidigt. 

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