China besiegelt die Autokratie von Xi Jinping

ARCHIV - Bei seinem ersten Besuch als Kanzler in Asien hatte Olaf Scholz Ende April Japan besucht - und dabei einen Bogen um China gemacht. (Archivbild mit Xi Jinping aus dem Jahr 2017) Foto: picture alliance / Carsten Rehder/dpa

Von Peter Helmes, www.conservo.blog

 

Chinas Staats- und Parteichef Xi schwört die Delegierten auf dem Parteitag in Peking noch stärker auf seine Linie ein

Der 20. Parteitag fand von Samstag, 15.10.22, bis gestern, 22.10., für eine Woche statt. Nur alle fünf Jahre treffen sich die kommunistischen Genossen und „wählen“ ihren Vorsitzenden und das Zentralkomitee, das kurz danach das Politbüro, bestehend aus rund 25 Personen, ernennt und dessen „Ständigen Ausschuß“ – das, eigentliche Machtzentrum Chinas – aufstellt.

Sieben Männer in Chinas Machtzentrale – der neue Ständige Ausschuss des KP-Politbüros

Die Kommunistische Partei Chinas (KP) hat ihren neuen siebenköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros vorgestellt. An der Spitze steht Staats- und Parteichef Xi Jinping, der für eine dritte Amtszeit als Generalsekretär bestätigt wurde.

Zu sehen sind Xi Jinping und die weiteren Mitglieder des siebenköpfigen Ständigen Ausschusses des Politbüros der KP Chinas.

Der siebenköpfige Ständige Ausschuss des Politbüros der KP Chinas (AFP / NOEL CELIS)

Zur Festigung seiner Führung besetzte das Zentralkomitee die vier freigewordenen Plätze des Ständigen Ausschusses mit engen Verbündeten Xis. Ein Überblick:

 

Die Nr. 1: XI JINPING

Der 69-Jährige wurde zu einer historischen dritten Amtszeit als Generalsekretär der KP wiedergewählt. Dies ebnet ihm den Weg, um im März auch für eine dritte Amtszeit als Präsident anzutreten. Die Weichen dafür hatte Xi bereits 2018 gestellt, als er die Begrenzung der Amtszeit des Staatschefs auf zwei Mandate abschaffte. Theoretisch könnte er nun Präsident auf Lebenszeit bleiben.

 

LI QIANG

Der Shanghaier Parteichef und Xi-Vertraute ist neu im Ausschuss und wurde zur Nummer zwei in der KP-Hierarchie befördert. Es gilt als wahrscheinlich, dass er im März zum Ministerpräsidenten ernannt wird. Dies wäre ungewöhnlich, da Li im Gegensatz zu den meisten früheren Regierungschefs keine Erfahrung als stellvertretender Ministerpräsident mit der Verwaltung von Geschäftsbereichen der Zentralregierung hat.

 

Unter Lis Führung hatten viele Bewohner Shanghais während im Corona-Lockdown keinen Zugang zu Lebensmitteln und medizinischer Versorgung. Li gehört jedoch zu Xis engsten Vertrauten, der 63-Jährige hatte für ihn von 2004 bis 2007 als Stabschef in der Provinz Zhejiang gearbeitet.

 

ZHAO LEJI

Der 65-Jährige leitete früher die oberste Anti-Korruptionsbehörde und bleibt im Ständigen Ausschuss. Der Verwaltungsbeamte wurde zur Nummer drei in der Parteihierarchie befördert. Zhao ist Parteisekretär von zwei Provinzen und gehört dem Politbüro seit 2012 an.

 

WANG HUNING

Auch der 67 Jahre alte Wang war bereits Mitglied des Ständigen Ausschusses und wurde nun zur Nummer vier in der KP-Hierarchie befördert. Der ehemalige Universitätsprofessor wird auch als der „Kopf hinter dem Thron“ bezeichnet.

 

Wang hat die Ideologien von drei chinesischen Präsidenten entwickelt. Zudem gilt er als Architekt von Xis „chinesischem Traum“ und der selbstbewussten Außenpolitik des Landes.

 

CAI QI

Cai ist seit 2017 Parteichef in Peking und wurde in den Ständigen Ausschuss befördert. Er wird Leiter des Generalsekretariats, welches das Tagesgeschäft der KP verwaltet. Der 66-Jährige gilt als enger Vertrauter von Xi und war unter ihm in den Provinzen Zhejiang und Fujian tätig.

 

2014 war Cai als stellvertretender Leiter des Büros der Nationalen Sicherheitskommission nach Peking entsandt worden. Er überwachte auch die Olympischen Winterspiele in Peking im Februar.

 

DING XUEXIANG

Das Politbüromitglied wurde von Xi in den Ständigen Ausschuss befördert – eine Entscheidung, die Beobachter erwartet hatten. Der 60-Jährige begleitet Xi regelmäßig bei Terminen. Der ehemalige Leiter des Generalbüros der KP war noch nie Parteichef oder Gouverneur auf Provinzebene.

 

Ding und Xi arbeiteten bereits in Shanghai zusammen, wo Ding dem Parteikomitee angehörte. Xi war dort von 2007 bis 2008 Parteichef. 2013 zog Ding nach Peking, um als Xis persönlicher Sekretär zu arbeiten.

 

LI XI

Die Beförderung des Politbüromitglieds und Parteichefs der Provinz Guangdong in den Ständigen Ausschuss kam für viele Beobachter nicht überraschend. Der 66-Jährige wurde zudem als Leiter der Anti-Betrugsbehörde der KP bestätigt.

 

Li gilt als Vertrauter von Xi, den er seit den 1980er-Jahren kennt. Er arbeitete als Sekretär für einen engen Vertrauten von Xis Vater. Li hat sich zudem eine Machtbasis in Shaanxi aufgebaut, der angestammten Provinz von Xi.

(Quelle: Auf Basis von Material der Nachrichtenagentur AFP)

 

Die Besetzung mit ausschließlich Linientreuen mag dem Parteichef das Gefühl der absoluten Machtsicherheit geben. Doch hinter der maximalen Machtkonzentration und der sorgfältigen Abschottung lauern ernorme Gefahren. Denn die bisherige Balance mit anderen politischen Flügeln gibt es nicht mehr. Korrekturmechanismen werden abgeschafft. Somit wird die Bereitschaft zu Kompromissen und Zusammenarbeit noch geringer werden. Machtkämpfe werden zunehmen und es könnte auch Unruhen geben.

 

Es ist äußerst gefährlich, was Staats- und Parteichef Xi Jinping macht. Die russische Invasion in der Ukraine ist ein Paradebeispiel dafür, daß die falsche Entscheidung eines Diktators zu einer großen Katastrophe führen kann. Die unbeschränkte Macht und die Ein-Mann-Politik könnten der Volksrepublik großen Schaden zufügen und diese zerstören – diese Gefahren sollte Xi nicht aus den Augen verlieren.

 

Nun ist zu befürchten, dass die Außenpolitik und die militärischen Aktionen des kommunistischen Landes deutlich aggressiver werden, weil die Menschen ihre Ergebenheit dem alten und neuen Parteichef zeigen wollen. Die internationale Gemeinschaft muß am Dialog mit Peking festhalten. Sie muß sich bemühen, China zu überzeugen, nicht vom Kurs einer verantwortungsvollen Weltmacht abzuweichen.

Die KPCh – Es zählt nur die Partei

Allerdings ist es kein „normaler Parteitag“ nach westlichen Maßstäben. Es ist mit rd. 2.300  Delegierten das Treffen der Mächtigsten des Landes. Die Kommunistische Partei herrscht seit 73 Jahren. Sie ist die Zentrale, die alles entscheidet. Dazu zählen das 200-köpfige Zentralkomitee, das Politbüro und der sieben Personen zählende Ständige Ausschuß des Politbüros, der das höchstgestellte Organ in der Partei ist. Dessen Zusammensetzung hat sich wohl durch Xi Jinpings Eingreifen geändert. Die Entscheidung, wer welche Position behalten kann oder bekommt, wird bereits vorher im stillen Kämmerlein ausgekungelt. In der von der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichten Liste der Mitglieder des ZKs sind mehrere prominente Namen nicht mehr vertreten:

Dazu zählen der im März aus seinem Amt scheidende Ministerpräsident Li Keqiang sowie der als sein potenzieller Nachfolger gehandelte Reformer Wang Yang, einer der liberalsten Vertreter innerhalb der KP. Obwohl beide erst 67 Jahre alt sind und somit unter der Altersbegrenzung von 68 Jahren liegen, scheiden sie nun aus dem Zentralkomitee aus und sind damit auch nicht mehr im Politbüro und seinem Ständigen Ausschuß vertreten, der die eigentliche Macht in China innehat.

Neu-Besetzungen

Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat seine Macht auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei weiter ausgebaut. Zum Abschluß der Veranstaltung in Peking am 22. Okt. bestätigten die 2.300 Delegierten einstimmig Xi´s „zentrale Rolle“ in der KP.

Auf Xi´s Betreiben wurde die Altersbegrenzung für das Amt des Generalsekretärs jedoch 2018 abgeschafft. Der 69-Jährige Xi hat sich vom Zentralkomitee der KP in diesem Amt bestätigen lassen. Es wird seine dritte Amtszeit, die wiederum auf fünf Jahre angelegt ist.

Im neuen Ständigen Ausschuß trat überraschend der Shanghaier Parteichef Li Qiang an zweiter Stelle auf das Podium. Die Auswahl des 63-Jährigen deutet darauf hin, daß der enge Vertraute von Xi Jinping im März neuer Regierungschef werden soll. Er rückt damit neu in den innersten Machtzirkel auf.

Dem neuen Ständigen Ausschuß gehören weiter der Chef der mächtigen Disziplinkommission, Zhao Leji, der Chefideologe Wang Huning sowie Pekings Parteichef Cai Qi, der Stabschef und enge Xi-Vertraute Ding Xuexiang sowie der Parteichef der wirtschaftlich wichtigen Provinz Guangdong, Li Xi, an.

Neuer „Sozialismus chinesischer Prägung“

Zum Abschluß des KP-Parteitags hatten die Delegierten mehreren Verfassungsänderungen zugestimmt. Einstimmig zementierten die Delegierten in der Parteicharta die „zentrale Rolle“ Xi´s in Partei und KP-Führung. Dagegen wurden seine bisherigen politischen Theorien jedoch nicht zu „Xi-Jinping-Gedanken“ verkürzt – also nicht analog zu den „Mao Zedong-Gedanken“ von Chinas Staatsgründer.

Dafür wurden seine 2017 in die Statuten aufgenommenen „Xi Jinping-Gedanken für den Sozialismus chinesischer Prägung in einer Neuen Ära“ als Leitlinien „für den Marxismus im modernen China“ festgeschrieben. Erstmals unterstreicht die Parteiverfassung zudem Pekings strikte Ablehnung einer Unabhängigkeit Taiwans.

Zudem werden auf dem Parteitag die Leitlinien der Politik Chinas in den kommenden Jahren deutlich. Es geht um den Aufstieg und die Festigung eines zunehmend nationalistischen, autoritären und aggressiven Chinas. Xi strebt für sein Land eine Rolle als globale Supermacht an, die in der Lage ist, eine gegen den Westen gerichtete Weltordnung zu gestalten. Unter der Führung Xi Jinpings ist in den vergangenen Jahren ein ganz anderes China entstanden. Es ist zu Hause repressiver und im Ausland aggressiver.

Für ihn steht die Welt heute wieder an einem Scheideweg. In seiner Grundsatzrede hat Präsident Xi Antworten darauf gegeben, wie China sich all den Herausforderungen stellen will. Unter der kommunistischen Führung will das Land das Jahrhundert des nationalen Aufstiegs ansteuern.

„Es ist unser gutes Recht, einen eigenen Weg der Modernisierung zu finden, der am besten zu unserem Land paßt. Es gibt keine Blaupause, die China kopieren könnte. Das vor allem im Westen vorherrschende, angeblich moderne Gesellschaftsmodell muß beendet werden – es blockiert die Entwicklung von ärmeren Ländern und Schwellenländern. Gerade beginnt eine Veränderung historischen Ausmaßes“, heißt das bei Xi.

Der Titel „Staatspräsident“ ist für Xi Jinping eher eine Hülse, ein Ausdruck, damit ihn andere Länder einordnen können. Zentral für ihn ist, daß er Parteichef ist – und bleibt. Xi hat dafür extra die verfassungsmäßige Amtszeitbeschränkung abändern lassen. Er kann jetzt potenziell auf Lebenszeit regieren. Zugleich hat er einen Personenkult aufgebaut, wie es ihn seit Mao Zedong nicht mehr gab. Die Medien sind gleichgeschaltet. Publizieren darf nur noch, wer sich aus staatlichen Geldern finanziert.

Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen könnten sich als kleines Vorspiel zu jenem Drama erweisen, das von einem Mann mit unermeßlich größerer Macht als Putin ausgelöst wird: Xi Jinping. Auf dem 20. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas erhielt er Befugnisse, die mit jenen des russischen Führers vergleichbar sind. Nur steht Xi dann an der Spitze einer Wirtschaft, die zehnmal größer ist als die russische und die tatsächlich in der Lage ist, Amerika herauszufordern.

Führer auf Lebenszeit

Nach Mao hat China einen neuen Führer auf Lebenszeit. Xi wurde auf diesem Parteitag zum Staatschef für die dritte Amtszeit ausgerufen. Vorbereitet hat Xi diesen Aufstieg sehr gründlich: Genauso wie Mao hat auch er ein rotes Buch. Mit einem Unterschied: Bei ihm ist es eine mobile Version. „Erkenne ein starkes Land“, heißt die App und ist für die öffentlich Beschäftigten Pflicht. Aber das ist nicht alles: Von der Grundschule bis zur Universität ist die sogenannte „Xi-Jinping-Doktrin“ seit 2021 ein Pflichtfach. Vor allem wurde auf dem Kongreß auch eine Verfassungsänderung beschlossen, die eine Opposition gegen Xi so gut wie unmöglich werden läßt. Sich gegen ihn und seine Doktrin zu stellen, heißt jetzt, sich gegen die Verfassung zu stellen.

Die Wahl für eine dritte Amtszeit ist ein Bruch mit früheren Traditionen. Die ersten zehn Jahre Xi´s an der Macht waren von wirtschaftlichem Wachstum, Aufrüstung und einer offensiven Handels- und Außenpolitik gekennzeichnet. Menschenrechte fielen dabei immer mehr einer Politik zum Opfer, die vor allem auf strenge Überwachung setzt und nicht den leisesten Dissens duldet. Besonders hart von der Unterdrückung ist die muslimische Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang betroffen, und in Hongkong wurde die große Demokratiebewegung zerschlagen. Die militärischen Drohungen gegen Taiwan nehmen zu, obwohl Xi auch die Hoffnung auf eine friedliche Wiedervereinigung äußerte. Das Problem für Peking ist und bleibt, daß eine überwältigende Mehrheit der Taiwanesen keine Unterwerfung wünscht.

Taiwan wird die größte Herausforderung in Xi´s nächster Amtszeit werden. Xi hat seine Ambitionen in Bezug auf Chinas demokratischen Nachbarn in seiner Rede vor dem Nationalen Parteikongress nicht eskalieren lassen. Seine Drohungen, Taiwan „notfalls mit Gewalt“ zu erobern, sind inzwischen so alltäglich geworden, daß die aufrührerische Rhetorik zum Standard geworden ist. Wie schon bei der Verlängerung seiner Amtszeit werden Xi Äußerungen als geopolitische Realität akzeptiert.

Die Welt sollte jedoch gewarnt sein vor einer langen Amtszeit von Xi Jinping, dessen aggressive Politik immer stärker in den Vordergrund rückt. Mit seiner Außen- und Sicherheitspolitik, die chinesische Macht und Stärke demonstrieren soll, deutet Xi an: Er hätte nichts dagegen, mit den einst befreundeten Staaten wie den USA, Europa oder Japan in Konfrontation zu gehen

Damit gestaltete sich die wichtigste Wahl der Welt in diesem Jahr nicht als Wahl, sondern als Krönung. Durch die „Salbung“ Xi Pings durch die Kommunistische Partei Chinas für eine dritte fünfjährige Amtszeit wurde Chinas Verbindung von aggressivem Nationalismus und kommunistischer Ideologie bestätigt, die die größte Bedrohung der Freiheit ist. Sie garantiert nahezu eine Konfrontation zwischen China und den USA.

Trügerische Stabilität

Die USA sind sich der Bedrohung durch China schon länger bewußt und haben das Land schon vor einiger Zeit zu ihrer obersten außenpolitischen Priorität erklärt. Europa hat solche Entwicklungen natürlich auch auf dem Radar, aber hier scheint das Gefühl von Dringlichkeit zu fehlen. Der Schwerpunkt liegt verständlicherweise auf Russland, während wir in vielen Bereichen ebenso stark von China abhängig sind. Europa sollte sich darüber im Klaren sein, daß es vielleicht nicht so viel Zeit hat, wie es gerne hätte. Die wachsende Macht von Xi bringt Herausforderungen mit sich. Die Frage, wie wir damit umgehen, wird schon länger gestellt. Aber es ist nun auch an der Zeit, sie zu beantworten.

Die Kontinuität an der Parteispitze vermittelt eine trügerische Stabilität. Unter der Oberfläche brodelt es. Die Bevölkerung hat genug von Xis totalitärer Null-Covid-Politik, die wirtschaftliche Existenzen vernichtet und immer wieder Millionen von Einwohnern in den Lockdown zwingt. Viele Chinesinnen und Chinesen sorgen sich wegen der gravierenden Immobilienkrise um ihr Vermögen. Und das bisherige Wachstumsmodell, das stark auf staatlichen Investitionen in die Infrastruktur fusste, funktioniert nicht mehr. Kleinste Unmutsäußerungen aus dem Volk würgt der Staatsapparat mit Repression ab. Gelingt es Xi allerdings nicht, das zentrale Leistungsversprechen der KP – wirtschaftlicher Aufschwung – einzulösen, wird er selber unter Druck geraten

Auswirkungen auf Deutschland

Während Merkels Kanzlerschaft wurden die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Deutschland weiter ausgebaut. Menschenrechte wurden bei den Reisen der Kanzlerin eher diskret adressiert. Seit Jahren ist China unser wichtigster Handelspartner in der Welt – und wir sind für die Volksrepublik der wichtigste in Europa.

 Welche Gefahr darin steckt, machten Vertreter der deutschen Geheimdienste erst vor wenigen  Tagen in ungewöhnlich drastischen Worten bei einer öffentlichen Anhörung durch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags deutlich. Dort sprach der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Bruno Kahl, zunächst über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Dann aber rechnete er mit der deutschen China-Politik ab. Obgleich von einem „zur Globalmacht aufsteigenden autokratischen China“ eine erhebliche Bedrohung ausgehe, seien die deutsche Politik und Gesellschaft zu vertrauensselig gewesen und hätten sich „in eine schmerzhafte Abhängigkeit“ begeben.

Auch der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, machte in der Anhörung klar, daß er China für die größte Gefahr hält: „Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel.” Es ist nicht Haldenwangs erste Warnung. Bereits zuvor hatte er in einem Interview mit dem Südwestrundfunk gesagt: „Langfristig gesehen könnte sich China auch zum Gegner Nummer eins entwickeln.“

Die Rückkehr des Kaisers

Gelingt Xi die Renaissance der Macht, wird er in den Himmel erhoben; wenn er versagt, trägt er die ganze Schuld. Das ist der Preis der Alleinherrschaft. Die Geschichte lehrt uns: Für einen Staat, auch für China, ist die Herrschaft eines Einzelnen auf lange Sicht eher ein Rezept für eine Katastrophe als für einen Erfolg. Wir sollten daher besonders aufmerksam auf diese „neue Ära von Xi Jinping“ schauen, sie ist ja nicht ganz neu; denn Xi ist seit zehn Jahren im Amt. Es wird nicht einfach, weder für die Chinesen noch für uns. Sogar Xi selbst warnte in seiner programmatischen Rede auf dem Kongreß vor starken Winden und Stürmen. Offenbar beginnt eine weitere stürmische Periode.

Streit in der Bundesregierung über eine mögliche Beteiligung Chinas am Hamburger Hafen

Olaf Scholz hat schon wieder ein Machtwort gesprochen. Er will offenbar die Beteiligung des chinesischen Terminalbetreibers Cosco am Hamburger Hafen durchdrücken. Der sozialdemokratische Regierungschef hat dabei nicht nur sechs Ministerien und die Opposition gegen sich. Auch aus den Sicherheitsbehörden werden die Warnungen vor China lauter.

Im Falle Chinas scheint Scholz Merkels Fehler fortführen zu wollen. Der Fall des Hamburger Hafens ist dafür ein Lehrbeispiel. Dessen Terminalbetreiber HHLA (gehört mehrheitlich der Stadt Hamburg) will 35 Prozent des Containerterminals Tollerort an eine staatliche chinesische Reederei verkaufen. Da es sich um kritische Infrastruktur handelt, muß die Bundesregierung den Erwerb genehmigen. Sechs Bundesministerien sind dagegen, die Sicherheitsbehörden warnen, ebenso die EU-Kommission. Nach Informationen von WDR und NDR will das Kanzleramt die Genehmigung erteilen.

„Aussitzen durch Nichtbefassen“

Die Entscheidung sollte in dieser Woche vom Bundeskabinett getroffen werden. Der Bundeskanzler aber will die Beteiligung unbedingt, er reist schließlich in der nächsten Woche zum ersten Mal als Bundeskanzler nach China. Also wird die Entscheidung kurzerhand von der Tagesordnung des Bundeskabinetts genommen; denn Scholz will keinesfalls die Untersagung, die Beteiligung soll als Morgengabe ins Reisegepäck.

Da paßt es gut zusammen, daß die Frist zur Untersagung am Montag, den 31.10.2022,  ausläuft. Ist der Erwerb bis dahin nicht untersagt, gilt er als genehmigt. Also muß der Bundeskanzler nur noch dieses Datum erreichen – just den Tag, an dem seine Chinareise beginnt. Die Chancen stehen gut, denn auch der Bundestag kommt erst in zwei Wochen wieder zusammen.

So kann der Bundeskanzler sein Ziel erreichen, auch wenn alle wesentlichen Mitglieder seines Kabinetts anderer Meinung sind. Da ist ein erneuter Brief gar nicht notwendig.

„Richtlinienkompetenz durch Nichtbefassen“ könnte man den Vorgang nennen.

 Aber unserem Land erweist der Bundeskanzler mit diesem Regierungsstil gleich in mehrfacher Hinsicht einen Bärendienst. Zum einen gibt er sein Kabinett der Lächerlichkeit preis. Wenn es darauf ankommt, haben sie nichts zu sagen. Zum anderen verweigert er – wie so oft – ganz einfach eine öffentliche Begründung für seine Haltung. Und zum dritten: Dieser Erwerb an der Terminalgesellschaft berührt zutiefst die Sicherheitsinteressen unseres Landes.

Ein chinesischer Staatskonzern bekommt mit dieser Beteiligung Zugang zu wesentlichen Daten des Frachtverkehrs im Hamburger Hafen. Und das exakt zu dem Zeitpunkt, an dem die Kommunistische Partei in China ihren aggressiven Ton in der Außenpolitik erneut verschärft und mit einem Krieg gegen Taiwan droht.

Völlig offen ist auch die Frage, wie sich die Abhängigkeit von China beim Ausbau der erneuerbaren Energien verhindern läßt. Vermutlich gar nicht. Über 90 Prozent aller Solarzellen, die in Deutschland verbaut werden, kommen aus China.

 Nur kurzzeitig würde der Deal Scholz’ Heimatstadt Hamburg gut gefüllte Kassen bescheren. Tatsächlich aber würde der Kanzler die schweren Fehler deutscher Gaspolitik vorsätzlich wiederholen:

Kremlchef Putin nutzt die Abhängigkeit von „seiner“ Energie skrupellos aus – und das vom ebenfalls lupenreinen Autokraten Xi Jinping regierte China schickt sich zeitgleich an, den Fuß in Deutschlands wichtigstes Tor zum Welthandel zu bekommen. Dabei dürfte auch Scholz nicht entgangen ist, wie China seine zunehmend nationalistischen Interessen immer rücksichtsloser durchzusetzen versucht.

Erst im September hatte Außenministerin Annalena Baerbock davor gewarnt, gegenüber China die gleichen Fehler zu begehen wie bei Russland. Doch Scholz scheint unbelehrbar.

*****

Sie lesen gern die Debattenbeiträge, Analysen, Satiren und andere Inhalte,
die wir Ihnen auf conservo bieten?
Dann können Sie unser Engagement hier per PayPal unterstützen:

 

Über conservo 7863 Artikel
Conservo-Redaktion