Michael van Laack / Hans Hümmeler*
Geschickt haben die Reformbewegten nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil manches Fest und manches Heiligengedenken praktisch verschwinden lassen. Dieses Schicksal erlitt auch Papst Pius V., dessen Fest bis zur Kalenderreform (1969-1971) am 5. Mai als Fest 3. Klasse gefeiert, dann auf den 1. Mai verlegt und dort neben dem Fest “Josef der Arbeiter” (ursprünglich Fest 1. Klasse) auf den Rang eines nicht gebotenen Gedenktags heruntergestuft wurde.
Verständlich aus Sicht der Reformer, dass ihnen das Gedenken an jenen Papst, der wie kein Zweiter für das seinen Namen im Vorblatt tragenden Messbuchs steht (das 1969 samt der tridentinischen Liturgie quasi verboten wurde), als unpassend erschien.
Zweifellos hat Pius V. wie kein anderer Pontifex des 16. Jahrhunderts polarisiert: Hartherzigkeit, nicht vorhandenes diplomatisches Geschick, wenig Interesse am und und noch weniger Ahnung vom Finanzwesen. All das sind definitiv wenig gute Voraussetzungen, um in einer so krisenhaften Zeit auf dem Stuhl Petri zu sitzen, meinten schon seine Zeitgenossen. Sogar der wie gegenüber allen anderen so auch gegenüber diesem Ponitfex sehr advokate Ludwig Freiherr von Pastor kommt in seinem opus magnum (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters, Freiburg i. Br., 1886-1933) nicht um diese Tatsachen herum.
Was den gegenwärtigen Kritiker allerdings entfallen zu sein scheint, was sie zu verdrängen oder gar vergessen zu machen suchen: Ohne Pius V. Unnachgiebigkeit und Penetranz wäre Europa seit Jahrhunderten “bunt”, um im Weltbild der uns Regierenden zu bleiben. Denn hätte dieser Papst keine europäische Allianz teilweise verfeindeter Staaten zusammengebracht, wären die Kirchenglocken in Europa schon vor Jahrhunderten verstummt und wir würden heute alle brav zum Freitagsgebet gehen.
Nachfolgend nun ein sehr klarer und nichts beschönigender Beitrag aus Hans Hümmelers “Helden und Heilige” (Band: 1. Januar bis Juni), Verlag der Buchgemeinde (Bonn am Rhein), 1933. Hier zeigt sich, dass Härte manchmal die einzige Lösung ist, um weit schlimmeres zu verhindern.
Von den Bürgern zu Beginn gefürchtet
Am Abend des 7. Januar 1566 ging ein langes und stürmisches Konklave zu Ende. Der Name des erwählten Papstes, Michael Ghislieri, erregte bei den Römern jedoch mehr Unbehagen als Freude; denn an diesen Mann knüpfte sich der Ruf äußerster Strenge und asketischer Weltverachtung.
Der Papst selbst sorgte sich nicht um die Volksstimmung. Den ängstlichen Ratgebern und Warnern sagte er mit leisem Lächeln. Er hoffe so zu regieren, dass man bei seinem Tod mehr Ursache zu trauern hätte als bei seiner Erhebung.
Bald sah das Volk ihn selbst, wie er die sieben Hauptkirchen zu Fuß und mit wenigen Begleitern besuchte; ein hagerer, kahlköpfiger Mann mit schneeweißem Bart und scharfblickenden Augen. Und es hörte, dass dieser Mann einst in seinem Heimatdorf Bosco in Savoyen die Schafe gehütet und auf Kosten eines wohlhabenden Nachbars studiert hatte, dass er mit 14 Jahren bei den Dominikanern zu Voghera eingetreten und ohne den Einfluss mächtiger Gönner allein durch seine außergewöhnliche Tüchtigkeit und sein b vorbildliches Priestertum vom einfachen Mönch zum Prior, Bischof und endlich zum Kardinal aufgestiegen war.
Ein “zäher Hund”, der allen vieles abverlangte
Sagenhafte Erzählungen von seinem Mut und seiner Regeltreue liefen von Mund zu Mund; bald wusste jeder, dass dieser Mann, der jetzt die Weltkirche regierte, nie anders als barfuß und mit dem Rucksack beschwert, ohne Mantel und Hut die heißen Reisfelder der Lombardei und die verschneiten Pässe der Bergamasker Alpen durchwandert hatte, dass er auch jetzt als Papst zuerst die abgelegten Gewänder seiner Vorgänger auftrug und dass er nicht zu bewegen gewesen war, seine Mönchskutte bei der Reise durch das ketzerische Graubünden abzulegen, obwohl er als Kommissar der Inquisition der am meisten gehasste Mann in allen abgefallenen Landesteilen war.
Solche Proben unerschrockenen Mutes und aufopfernder Selbstlosigkeit verschafften ihm schnell die Achtung der Römer, die sich freilich erst daran gewöhnen mussten, dass die Zeit der renaissance-Päpste mit ihrem äußeren Glanz und den dunklen Schatten des Verfalls vorüber war. Der jetzt den Fischerring trug, hatte nicht den Ehrgeiz, als Kunstmäzen, Diplomat und weltlicher Herrscher in der Geschichte weiterzuleben. Er kannte nur die eine Würde und die eine Verantwortung, Statthalter Christi auf Erden zu sein. Vor ihm galt kein Ansehen der Person; die Ärmsten hatten in allen Audienzen den Vortritt und er selbst scheute sich nicht, in Gegenwart hochgeborener Herren von seiner niedrigen Abkunft zu sprechen. Luxus, Unsittlichkeit und schmeichlerisches Getue waren dem Papst verhasst. Die heilige Stätte, wo die Apostelfürsten und viele tausend Martyrer gelitten, sollte frei sein von jedem Makel.
Können grausame Strafen gerechtfertigt sein?
Drakonisch streng waren deshalb seine gesetzgeberischen Maßnahmen für Rom und den Kirchenstaat. Das Dirnenunwesen wurde aufs schärfste verfolgt, der Kornwucher unnachsichtig bestraft, die bestechlichen Richter abgesetzt. Die weltliche Justiz sparte nicht mit Todesurteilen, die ohne Rücksicht auf Rang und Stand, auf Alter und Geschlecht vollstreckt wurden. Nicht bloß die Irrlehre, auch Unzucht, Okkultismus und Zauberei galten als Kapitalverbrechen, die in schweren Fällen mit dem Beil oder Scheiterhaufen zu sühnen waren.
Ein hartes Gerichtsverfahren, dem man jedoch nicht den Vorwurf der Grausamkeit machen kann; denn ein verwildertes, zügellos gewordenes Volk lässt sich nur durch äußerste Strenge zu Gesetz und Sitte zurückführen. Und wenn Pius V. jedes aufflackern des Protestantismus südlich der Alpen mit eiserner Faust unterdrückt hat, so hat er dadurch dem politisch zerklüfteten Italien das letzte einigende Band (die religiöse Einheit) bewahrt und das Land vor den namenlosen Gräueln eines Dreißigjährigen Krieges bewahrt.
Papst Franziskus ist Pius V. in manchem nicht unähnlich
Was der Papst aber von den Laien forderte, verlangte er erst recht vom Welt- und Ordensklerus. Er schärfte den Kardinälen ein, dass sie Priester und erst in zweiter Linie Kirchenfürsten seien. Er legte den höchsten Nachdruck auf eine zeitgerechte Ausbildung und deine unermüdliche wissenschaftliche Weiterbildung der Seelsorgegeistlichkeit. Die Reformvorschriften des Trienter Konzils sollten überall in die Tat umgesetzt werden, die Kunst der Katechese und Predigt zu neuem Leben erweckt, der ursprüngliche Geist in den Klöstern aller Orden wiederhergestellt, der Sonntag und die Kirchen heiliggehalten werden.
Die liturgischen Reformen an Messbuch und Brevier brachte dieser seeleneifrige Papst zum Abschluss. Er selbst war durch sein persönliches Beispiel der beste Wegbereiter der Klerusreform. Unter seiner Regierung ähnelte der Vatikan mehr einem Exerzitienhaus als einem Palast. Der Hofstaat wurde auf ein Minimum beschränkt. Bei Neuernennung von Kardinälen ließ sich Pius V. nur durch die Charaktereigenschaften und kirchlichen Verdienste der von ihm Erwählten leiten. Das ging nicht ohne Einspruch des selbstbewussten Uradels Italiens und der staatlichen Gewalten. Aber allen Bitten und Drohungen gegenüber blieb der Papst unerbittlich. Selbst der allmächtige Spanierkönig Philipp und das spanische Staatskirchentum mussten sich vor der geistigen Autorität dieses Greises beugen.
Pius V. sei Dank rufen heute noch nicht alle Europäer “Allahu Akhbar!”
Man hat Pius V. wegen seiner starren Haltung oft gescholten, ihm jede politische und diplomatische Fähigkeit abgesprochen und tut ihm nicht einmal Unrecht damit: denn zeitlebens blieb er in den Dingen dieser Welt ein Mönch, der in unangebrachtem Optimismus am liebsten alle Soldaten des Kirchenstaats entlassen hätte und der zudem das Finanzwesen in Unordnung geraten ließ, so dass er später drückende Steuern verhängen musste. Aber in einem Punkt bewies er einen besseren politischen Instinkt als alle übrigen Staatsmänner Europas: Er erkannte klar den ganzen Umfang der Türkengefahr und schweißte mit unsäglicher Mühe die Liga gegen den Halbmond zusammen, die am 7. Oktober 1571 in der Seeschlacht von Lepanto die Türken vernichtend schlug und das Abendland vor dem Einfall der fanatischen Mohammedaner rettete. Wäre Pius nicht gewesen, die europäische Kultur wäre wahrscheinlich an der Zwietracht der christlichen Nationen zugrunde gegangen.
Nur sechs Jahre hat das Pontifikat des Dominikanerpapstes gedauert, sechs Jahre reich an Kämpfen – man braucht nur an die Hugenotten in Frankreich, die aufständischen Niederländer und die Leiden der englischen Katholiken unter den Blutedikten Elisabeths zu erinnern. Und dennoch sind diese Jahre für die Geschichte der Kirche fruchtbarer gewesen als die lange Glanzzeit der Renaissancepäpste. Denn an den Namen Pius V. „Reform der Kirche an Haupt und Gliedern“, die von allen kirchentreuen Männern seit Jahrhunderten gefordert wurde. Seit dieser heilige auf dem Thron des heiligen Petrus saß, ist es wieder aufwärts gegangen
Im Frühjahr 1572 brach der Papst nach heftigen Beschwerden zusammen, raffte sich aber noch einmal auf, um zum letzten Mal die sieben Hauptkirchen zu besuchen. Mit dieser Wallfahrt beschloss er sein Leben am 1. Mai 1572. Sein Fest feiern wir am 5. Mai.
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*Ein kurzes Interview zu Hans Hümmeler und seinem Hauptwerk: