Foltervorwürfe – Europarat kritisiert Türkei

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Elektroschocks, Schläge, erzwungene Geständnisse…

Das Anti-Folter-Komitee des Europarats hat Polizeigewalt und schlechte Haftbedingungen in türkischen Gefängnissen und Polizeistationen kritisiert und Präsident Erdogan zum Handeln aufgefordert. Das aber wird der Sultan vom Bosporus gewiß nicht tun. Ihn scheren die Vorwürfe des Komitees einen Dreck, genauso wie die Aufforderung an ihn, stärker gegen mutmaßliche Mißhandlungen von Festgenommenen in Polizeigewahrsam vorzugehen.

Das Komitee hatte am Mittwoch (5.8.20) bei der Vorstellung von zwei Berichten, die auf Besuchen von 2017 und 2019 beruhen, seine Kritik vor der Presse geäußert. Konkret wird der Türkei vorgeworfen, daß türkische Polizisten Schläge anwenden, um Geständnisse zu erzwingen oder um Menschen in Gewahrsam zu bestrafen. Nach Informationen des Türkei-Korrespondenten beim Deutschlandfunk, Christian Buttkereit, sei es in Einzelfällen auch zur Anwendung von Elektroschocks gekommen – was unter Folter fallen würde. Das Komitee des Europarats bemängelt auch Einschränkungen beim Besuchsrecht in Haftanstalten. Die Berichte stützen sich unter anderem auf Gespräche mit Gefangenen.

Natürlich weisen die türkischen Behörden die Vorwürfe zurück und setzen gar noch eins drauf: In einer Erklärung der Regierung heißt es scheinheilig, „die Türkei messe den unabhängigen Überwachungsmechanismen des Europarats und der Zusammenarbeit große Bedeutung bei“. Sie verweisen sogar darauf, es sei „nicht üblich“, Geständnisse und Informationen durch die Anwendung von Gewalt zu erzwingen.

Wohlfeiler Haftgrund „Terrorverdacht“

Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der zum Europarat gehört, akzeptiert die Türkei nur teilweise. Entschädigungszahlungen bei zu langer Haft werden zwar meistens geleistet – anders sieht es aber aus, wenn es um die Entlassung Gefangener aus der Untersuchungshaft geht. Der EGMR hatte z. B. gefordert, den ehemaligen Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP und den Kulturmäzen Osman Kavala sofort freizulassen. Darauf hat der türkische Staat laut Buttkereit (Dlf) reagiert: „Bei beiden wurden dann schnell neue Ermittlungsakten zu anderen neuen Delikten aus der Schublade gezogen.“

Seit dem Putsch regieren per Dekret

Zunehmend deutlicher wird kritisiert, daß die Türkei seit dem Putschversuch im Juli 2016 rd. Zwei Jahre lang (bis zum 19.7.18) im Ausnahmezustand regiert wurde. Viele Menschen sind eingeschüchtert, weil viele Verhaftungen mit der Begründung „Terrorverdacht“ vorgenommen werden. Und nach der letzten „freien“ Wahl hat sich Erdogan ein Präsidialsystem gezimmert, das zwangsläufig von der Demokratie wegführt. Die Tendenz ist klar erkennbar: ein schleichender Prozeß weg von einer demokratischen Entwicklung hin zu einer Autokratie. Dies war schon mit dem Referendum im Jahr 2017 vorgezeichnet gewesen.

Das ist letzten Endes der Schritt, der die Gewaltenteilung schwächt, der das Parlament schwächt, der im Staatspräsidenten auch den Regierungspräsidenten vereint, der selbständig Minister entlassen und bestellen kann und der im Übrigen in großem Umfang über Dekrete regieren kann, also gar nicht die gesetzgeberische Kraft des Parlaments notwendig hat. Und zudem hat er auch noch im Parlament durch ein Wahlbündnis mit der MHP, der nationalistischen Partei der Türkei, die Kräfte gebündelt.

Die Türkei gehört nicht zu EU-Europa

Die gesamte innertürkische Entwicklung darf Europa nicht ignorieren; denn sie betrifft uns auf vielen Ebenen – von der Außenpolitik, über die Wirtschaft bis zur Kultur. Die Türkei hat sich seit Jahren unter Erdogan von der EU entfernt. Es ist überhaupt nicht erkennbar, daß irgendwelche Kapitel abgeschlossen oder gar neu eröffnet werden. Wir sollten die „Akte“ EU/Türkei also schließen.

Gewiß, es gibt auf der anderen Seite immer noch viele Menschen in der Türkei, die sehnsuchtsvoll nach Europa blicken und denen wir nicht – jedenfalls nicht für alle Zeiten – die Hoffnung nehmen sollten, eines Tages vielleicht auch wieder in rechtsstaatliche, pluralistische Verhältnisse zurückkehren zu können und daß ihnen dann der Weg zur Europäischen Union nicht ganz versperrt ist. Aber jetzt, aktuell, sehe ich keinerlei Spielraum für ein „Weiter so“ mit der Türkei.

www.conservo.wordpress.com     8.8.2020
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