Die umfassende Militarisierung Russlands unter Putin

(www.conservo.blog)

von altmod *)

Unverändert sind – trotz drei Monate Krieg – das Internet und manche gar liberale und konservative Blogs weiterhin ein Tummelplatz von „Putinverstehern“ und russophilen Autoren und Kommentatoren. Weiterhin betätigen sich solche Leute als eine Art fünfte Kolonne Moskaus und sehen Putin nicht etwa als das, was er ist: ein aggressiver Autokrat mit psychopathischen Zügen, der nichts anderes als auf Krieg aus sein kann.

Für viele dieser Typen von „Verstehern“ ist Putin der Heilsbringer, nicht nur Russlands, sondern ein hehrer Kämpfer auch gegen den angeblich verbrecherischen Westen – vulgo USA, Nato und EU. Diese Leute hegen wohl auch den Traum, dass auch bei uns ein starker Mann wie Putin auftreten und den „Saustall“, der hierzulande entstanden ist, ausmisten würde.

Man stellt sich gegen die von manchen westlichen Groß- und Knallköpfen propagierte „große Transformation“, wäre aber durchaus bereit für eine Transformation à la Putin.
Wie sähe diese aus?

Man betrachte einfach die Entwicklung Russlands seit dem Machtantritt Putins und dessen genial-perfide Strategie, Russland in ein militärisch-kriegslüsternes Staatsgebilde zu verwandeln. Die aus der sozialistischen Planwirtschaft hervorgegangene russische Wirtschaft ist mit und nach Jelzin in einen zentralistisch gelenkten Staatskapitalismus umgewandelt worden. Anfangs noch vorwiegend von den korrupten und mafiösen Oligarchen alter Prägung gelenkt und ausgebeutet. Putin hat die Macht der „alten Oligarchen“ gebrochen oder diese sich unter Druck zu seinen Lakaien gemacht. Dazu kamen eine Generation neuer Oligarchen und vor allem die Garde der „Silowiki“.

“Silowiki” sind Politiker oder Manager, die zuvor Geheimdienst-Offiziere beim Militär oder KGB waren und politischen Einfluss erlangten: gezielt gefördert und positioniert von Putin. Sie sind eigentlich die engsten Berater und Akteure Putins in den neu gegründeten oder umorganisierten Staatsbetrieben Russlands.

Das soll aber hier jetzt nicht das Hauptthema sein, vielmehr die unter Putin eingeleitete Militarisierung der Gesellschaft und Vorbereitung auf Krieg.

Militarisierung der Gesellschaft von Jugend an

Nicht nur der militärisch-industrielle Komplex Russlands erfuhr unter Putin eine enorme Wiederbelebung. Die gesamte russische Gesellschaft selbst sollte wieder an den Geist der alten militärischen Größe und Macht in der einstigen Sowjetunion herangeführt werden.

Putin ist kein Bolschewik oder Kommunist, gewiss aber ein Stalin-Bewunderer oder

-Verehrer. So ließ er für den Zweck der umfassenden Militarisierung seines Volkes auch alte Institutionen aus der Sowjetzeit jetzt mit neuem Etikett wiedererstehen. Nicht mehr „Junge Pioniere“ oder „Komsomol“ heißen diese, sondern „Junarmija“, deutsch „Jugendarmee“, die 2016 von Putin gegründete neue Kinder- und Jugend-Militär-Erziehungsorganisation Russlands, der inzwischen mehr als eine Million Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 18 Jahren angehören. Die Junarmija-Gruppen unterstehen dem Verteidigungsministerium der Russischen Föderation und werden an Schulen unter intensivem Gruppenzwang gebildet und ausgebaut.

Junarmija

Von symbolischer Bedeutung für die angestrebte Durch-Militarisierung der russischen Gesellschaft ist auch der 2016 gegründete „Patriot Park“ – Russlands „Disneyland“ – in der Nähe von Moskau.

Auf dem 54 ha großen Gelände gibt es ein Luftfahrtmuseum, ein Museum für gepanzerte Fahrzeuge, ein Museum für Artillerie, Sportanlagen, Sportsimulatoren, historische Ausstellungen und Waffenausstellungen. U.a. auch ein Modell „Partisanendorf“ – eine Nachbildung von Wohnungen, Unterkünften und Befestigungen, die während des Zweiten Weltkriegs von militärischen Widerstandsgruppen genutzt wurden. In einem Mehrzweck-Schießzentrum können Besucher versuchen, mit Waffen bis zu einem Kaliber von 12,7 mm zu schießen, einschließlich der berühmten Kalaschnikow AK-47. Man kann in Simulatoren für militärische Ausrüstung fahren und fliegen, mit Kampfwaffen schießen und mit einem Fallschirm springen. Und täglich wird der Sturm auf den Berliner Reichstag 1945 im „Großen vaterländischen Krieg“ nachgespielt.

Dazu auch die Kirche

Zu dem Park gehört auch „Hauptkirche der Streitkräfte Russlands“.

Speziell für diese Kirche entstand auch ein „Achiropíiton“, ein Kultbild oder eine Ikone, die der Überlieferung nach nicht von Menschen geschaffen sei, sondern von Gott geschenkt wurde. Die dortig soll die Hauptikone der Streitkräfte der Russischen Föderation sein. Sowohl das Bild als auch der zugehörige Flügelaltar wurde mit privaten Mitteln von Präsident Putin finanziert. An den Wänden der Kathedrale finden sich Fresken mit Schlachtszenen aus der Militärgeschichte und Texte aus der Heiligen Schrift. Es für diese Kirche u.a. Wandmosaike entworfen, welche Wladimir Putin und Josef Stalin darstellen sollen: Putin in Zusammenhang mit der Annexion der Krim und Stalin in Verbindung mit der Moskauer Siegesparade von 1945 vor der Moskauer Basiliuskathedrale (Letzteres wurde wieder entfernt).

Die Kirche wurde von dem russischen Oberpatriarchen Kyrill I. eingeweiht, der dabei sinnigerweise für „Frieden und weitere Siege“ Russlands betete.

Kyrill I. stammt wie Putin aus St. Petersburg, war ebenfalls aktiver Mitarbeiter des KGB. Die Vergangenheit im sowjetischen Geheimdienst verbindet ihn mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Man könnte ihn fast als einen der sog. Silowiki Putins bezeichnen.
Kyrill bezeichnete die Regentschaft Putins im Zuge der Präsidentschaftswahl in Russland 2012 als „Wunder Gottes“ und kritisierte die Opposition. Er rief offen zur Wahl Putins auf und schwärmte, Putin sei von Gott gesandt und habe „die schiefe Kurve der russischen Geschichte begradigt“.

Kyrill, der den Namen eines der übelsten und gewalttätigsten „Kirchenväter“ der Spätantike trägt, steht in dem jetzigen Krieg eindeutig unterstützend auf der Seite Putins und verbreitet dessen Ideologie auch unter den anscheinend wieder vorhandenen Christ-Gläubigen von Mütterchen Russland.

Die Re-Stalinisierung in der Gesinnung, diese ganze von Putin vorangetriebene Militarisierung der gesamten Gesellschaft, nicht nur die Aufrüstung mit modernsten Waffen durch die „reformierte“ Rüstungsindustrie, waren seit langem bekannt und dürfte all den Putinverstehern nicht entgangen sein. Wohin die militärische Durchdringung eines ganzen Staates und Volkes führt, hat insbesondere unsere Geschichte gezeigt. Wer da Verständnis für Putin heuchelt, muss wissen, dass diese Entwicklung nicht mit dem Ukraine-Konflikt zu Ende sein wird. Es sei denn, dieser Politik wird auch von innen heraus das Handwerk gelegt.

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*) Blogger „altmod“ (http://altmod.de/) ist Facharzt und seit Beginn Kolumnist bei conservo

www.conservo.blog      25.05.2022

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