Gossen- und Fäkalsprache im (politischen) Diskurs – Die roten Linien werden dünner!

Conservo-Redaktion

(altmod*) Wenn man nicht nur US-amerikanische Filme neueren Datums ansieht und hinhört, ist man inzwischen überzeugt, dass uns bislang verfemte Ausdrücke unwiderruflich in die Verkehrssprache – auch und gerade unter gebildeteren Kreisen – eingegangen sind: »Fuck« ist kaum mehr zu überhören und »Shit« wird gar von einem Harvard-Professor – der Filmtitel ist mir im Moment nicht geläufig – verwendet, als er die Geistesergüsse eines Kontrahenten als »gequirlte Sch….« bezeichnete.

Ui, dachte ich mir, das ist aber heftig, in so einem prüden Land. Und das hat keinen »Shitstorm« hervorgerufen?

In den USA wird man (auch) sprachlich gern mal derb!

Aber dort ist man auch in diplomatischen Kreisen nicht zimperlich: Viktoria Nuland, außenpolitische Beraterin von B. Obama wurde mit dem Ausspruch »Fuck the EU« bekannter als durch scharfsinnige und intellektuelle Auseinandersetzung mit Politik. Laut einem geleakten Email bezeichnete Hillary Clinton die gottgleiche Angela Merkel als »eine blöde Kuh mit Wiedergutmachungskomplex«.

Auch hierzulande sind schon Politiker mit Entlehnungen aus der sog. Gossensprache aufgefallen. So sagte mal eine SPD-Vorsitzende: »Ab morgen kriegen sie in die Fresse«, und ein CDU-Grande zu einem »Parteifreund«: »ich kann Deine Fresse nicht mehr sehen.« Dem feinen Annalenchen im Außenministeramt entfuhr schon mal ein kräftiges »Sch….« ob einer missglückten Wahlkampfrede.
Das S-Wort ist ihr also durchaus geläufig.

Im politischen Betrieb würde Schimanski heute nicht auffallen

Hat man Anleihen bei Schimanski genommen? Der Duisburger Tatort-Kommissar war einer der Ersten, dem das S- und A- Vokabular im deutschen Abendfernsehen ohne Zensur erlaubt war. Ein deutscher Meister der derben Ansprache war einst Herbert Wehner. Wie auch das deutsche Parlament, das »hohe Haus«, manche sprachliche Ausrutscher erfahren durfte. Nicht immer »Gossensprache« aber auch schon mal. Wie sagte einst ein hoher Grünen-Politiker zum Präsidenten dieser illustren Versammlung: »Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!«. Man beachte dazu die feine relativierende Floskel »mit Verlaub«! Der Umgangston der Politiker untereinander hat mich schon mal zur Erstellung eines Schimpfwörterkatalogs zur Verwendung auch unsererseits angeregt.

In den Führungs- oder Teppichetagen der Wirtschaft oder auch höchsten Ämtern weicht man inzwischen gerne auf Anglizismen aus. Wenn einer dummes Zeug daherredet, spricht man dann nicht davon, dass er »Sch…. labert«, sondern von „Bullshit“, was übersetzt auch nichts anderes bedeutet.
Von einem renommierten Stanford-Professor für »Management Science and Engineering«, Robert I. Sutton, stammt das Buch »Der Arschlochfaktor«. Es geht darum, wie man mit schwierigen Kollegen klarkommt und was deren Schikanen begünstigt. Wenn man das Buch durchgearbeitet hat, kommt man nicht umhin, nicht nur in der Wirtschaft – auf die es abzielte – sondern auch in der Politik jede Menge von A………….. zu finden. Sutton liefert dazu praktische Prüflisten und Tests und so lassen sich sogar in den höchsten Kreisen der Diplomatie solche ausmachen – siehe hier.

Der grobe Klotz verdient es doch nicht anders oder so…

Als Blogger und zeitkritischer Kolumnist und auch als Kommentator hier und da ist man angesichts der vorhandenen und zu beschreibenden elenden Zustände leicht geneigt, zu einer drastischen Sprache zu greifen: nach der Devise „auf groben Klotz ein grober Keil, auf einen Schelmen anderthalben…“ (J.W. Goethe). Dazu: stammt nicht auch von Goethe eine unsere deftigsten Beschimpfungen in deutscher Sprache – das Götz-Zitat? Und ich spreche mich hier überhaupt nicht davon los, nicht selten zu drastischen Vokabeln zu greifen. Und das hat schon im Kommentarbereich zu einem Beitrag auf meinem Blog zu einer Diskussion geführt.

Um seinen Nimbus als gebildeter und wohlerzogener Mensch zu bewahren, meinte man bisher, dass man sich stets um einen kultivierten Wortschatz bemühen sollte, Gossen- oder gar Fäkalsprache sind demnach obsolet. Ich will dazu etwas ausschweifen und im Folgenden eine Diskussion auf altmod wiedergeben.
Eine sehr gebildete Kommentatorin auf meinem Blog schrieb:

»Ich merke beim Vorkommentar und auch bei Ihnen, daß Sie in die Fäkalsprache fallen, mich erschreckt das bei mir auch …« Die mittelbar angesprochen andere Kommentatorin antwortete: »Wenn mich nicht alles täuscht, ist die Kotze keine Fäkalie. Herr Doktor, verbessern Sie mich, falls ich falsch liege. Solange unsere sprachlichen „Feinheiten“ noch im Duden stehn, bin ich gänzlich beruhigt. Was will ich mit einer Sprache ohne Schmackes? Das widerspräche komplett meinem Naturell. Ich mag auch lieber deftige Kost beim Essen …«

Fäkal-Arroganz ist auch (k)eine Lösung!

Meine Antwort: »Na ja, die Worte, die ich in dem Beitrag verwendet habe, P…, Sch…. und K…. zählen von der Linguistik her schon zur Fäkalsprache. „Kotze“, eher ein Resultat der Antiperistaltik und nicht den unteren Körperausgängen zuzuordnen, zählt streng genommen vielleicht nicht dazu. Man kann, wenn einer Sch…. daher redet von einer „Kakophonie“ sprechen, also sehr verfeinert, aber doch hart an der Grenze zur Fäkalsprache. Wenn man nun in der Realität mit den geschilderten Verhältnissen, nicht nur in und um den Frankfurter Hauptbahnhof konfrontiert wird, werden auch dem feinsten und gebildetsten Geist inzwischen keine sprachlich ausreichend sauberen oder der Hochsprache gemäße Namenswörter mehr einfallen…

«Gegenfrage der Angesprochenen: »Wie soll sich der Geist gleichsam eines verdorbenen Magens sonst reinigen, wenn nicht durch Aussprache verdorbener Worte? So ein Gehirn ist ja auch nur ein Verdauungsorgan und was ihm zur Zeit an Nahrung zugemutet wird, muss zur Reinhaltung auch wieder raus. Wo Magen und Darm nach oben und unten speien, nimmt der Geist den Weg der Sprache – würde ich so diagnostizieren. Demnach wäre die Fäkalsprache ein Reinigungsprozess. Kann man das so stehn lassen?«
Da konnte ich nur zustimmen: »Wir müssen uns ständig übelriechender Verdauungsprodukte entledigen. Somit auch aus Hygienegründen immer wieder mal raus mit üblen Worten.«

Soweit dazu, was ich auf einem Blog durchaus als »Diskussionskultur« erlauben möchte – und ich mir selbst erlaube. Manchmal muss man auch »gequirlte S…..« oder „Bullshit“ akzeptieren.
Heißt mich einer aber direkt »A……..«, weil ihm meine Meinung nicht gefällt und ohne dass dazu die von Robert Sutton aufgestellten Kriterien erfüllt sind, wird das für den Disputanten Folgen haben – Satisfaktionsfähigkeit vorausgesetzt.

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*) Blogger „altmod“ (http://altmod.de/) ist Facharzt und seit Beginn Kolumnist bei conservo.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien zuerst am 07. August 2022 auf dem Blog “altmod” unter der Überschrift “Was darf man als gebildeter Mensch hier und da sagen?”. Einige Zwischenüberschriften wurden von der conservo-Redaktion erweitert oder neu eingefügt.

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