Wladimir Putin: Innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand, außenpolitisch am Abgrund!

Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist*

Die UN-Vollversammlung hat am 14. Oktober 2022 Wladimir Putins Annexion von Teilen der Ukraine als völkerrechtswidrig verurteilt und als „nichtig“ erklärt. Ein heftiger weltweiter politischer Rückschlag für Putin, der unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine in der UN-Vollversammlung bessere Werte erzielt hatte.

Mit seinen völkerrechtswidrigen Alleingängen und den wiederholten Drohungen des Einsatzes von Nuklearwaffen hat er bei vielen Staaten seinen Kredit verspielt. Nur fünf Staaten haben ihn noch unterstützt, die Resolution der UN-Vollversammlung zu verhindern – oder zumindest abzuschwächen. Eine bittere Niederlage für den vermeintlichen Sprecher der Welt „außerhalb des Westens“.

Selbst China und Indien haben die UN-Resolution nicht unterstützt. Sie wollten ihre Interessen verteidigen. Diese Interessen sind nicht messbar und nicht quantifizierbar, aber sie bestimmen weitgehend die Wahl von anderen, wichtigen Staaten dieser Welt. China hat sich bewusst distanziert von seinem „Juniorpartner Russland“ – es wollte seine ambitionierten Ziele nicht gefährden. Angesichts des bisherigen Verlaufs des russischen Überfalls auf die Ukraine eine weise Entscheidung.

Die vage Entscheidung des belarussischen Diktators Lukaschenko, Russland im weiteren Verlauf des Krieges zu unterstützen, dürfte für Russland keine große Unterstützung sein. Es soll bereits belarussische Einheiten geben, die zur Unterstützung der Ukraine auf ukrainischer Seite kämpfen. Dafür gibt es allerdings keine offizielle Bestätigung. – Lukaschenko hat ein besonderes Ziel: Seine Alleinherrschaft in Belarus nicht zu gefährden. Er soll Russland mit alten Kampfpanzern unterstützen.

Putins Brücke bei Ketsch

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 war eine Brücke in der Nähe von Ketsch ein wichtiges Projekt für Putin, um eine weitere Verbindung von der Krim auf das russische Festland im Osten der Ukraine zu haben. Diese Brücke wurde 2018 durch Putin eröffnet. Sie wurde „sein“ Prestigeobjekt. Sie war sein Stolz. Entsprechend groß war sein Zorn auf die Menschen, die seine Brücke zu einem Teil stark zerstörten.

Die Täter sind noch nicht gefasst. Man kann vermuten, dass es ukrainische Widerstandskämpfer waren, die schon einige Anschläge auf der Halbinsel Krim mit Erfolg durchgeführt haben. Der ukrainische Präsident Selenskyj hat mehrfach verkündet, dass er die Halbinsel Krim wieder in die Ukraine reintegrieren wolle. Dieses Vorhaben kann je nach Verlauf des Krieges in der Ukraine realisiert werden.

Nach dem Anschlag wird die Brücke stärker geschützt. Sie ist durch den Anschlag beschädigt und für schwere Fahrzeuge zum Teil gesperrt. Die Reaktion von Putin kam prompt. Mit einem massiven Feuerschlag auf zivile Objekte – Versorgungseinrichtungen und Wohnhäuser – mit zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung.

Setzt Putin auf Feuerüberfälle?

Es gibt unbestätigte Meldungen von russischer Seite, dass Russland einige Kräfte aus der Frontlinie zurückgezogen hat, da die Moral der Truppe durch Personal- und Materialverluste stark gelitten haben soll. Die mangelhafte Durchführung der Teilmobilmachung hat Beobachter zu starker Kritik an der russischen Führung veranlasst.

Der personelle Adererlass der russischen Zivilbevölkerung wird noch wenig thematisiert. Insgesamt sind über eine Million russischer Männer unter 35 Jahren der Wirtschaft und staatlichen Behörden entzogen worden, was die russische Wirtschaft weiter schwächelt.

Ist das der Grund für die russische Führung, Kinder aus der Ukraine nach Russland zu entführen und zur Adoption durch russische Familien anzubieten? Das ist staatlich verordneter „Kinderraub“! Es wird jedoch etliche Jahre dauern, bevor diese geraubten Kinder Lücken im Militär und in der Wirtschaft schließen können – zumal es an der Ausbildung, an moderner Ausrüstung und Bewaffnung fehlen wird.

Die schlechte Moral der russischen Soldaten wird sich in nassen Schützengräben weiter verschlechtern. Ich weiß aus eigener Erfahrung als Panzergrenadier, dass Nässe und Kälte den Körper auslaugen können. Fehlende Winterbekleidung verstärkt körperliche Probleme. Es ist daher kein Wunder, dass russische Soldaten zunehmend desertieren – mit ihren Unteroffizieren. Von den russischen Soldaten werden keine ernsthaften Aktionen ausgehen. Das kann – wenn überhaupt – erst im Frühjahr 2023 wieder geschehen.

Wie ist die Lage bei den ukrainischen Streitkräften?

Nässe und Kälte mögen ukrainische Soldaten auch nicht, aber sie sind besser auf den „General Winter“ vorbereitet. Sie verfügen über Winterbekleidung und können ihre Unterstände aufwärmen.

Wichtig ist ihre Kampfmoral. Sie fühlen sich auf der „ Siegerstraße“. Wenn es das Wetter zulässt, werden sie weitere Geländegewinne erzielen. Sie können Cherson erobern – eine strategisch wichtige Region. Sie haben jetzt mit modernsten deutschen Flugabwehrsystemen bessere Chancen, die gefährlichen iranischen Drohnen im Bestand der russischen Angreifer wirksam zu bekämpfen.

Wie geht es weiter?

Putin steht unter Druck. Es mehren sich kritische Stimmen in Russland:

Der Verlauf des Krieges, Fehler in der Teilmobilmachung und die Abstimmungsniederlage in der UN-Vollversammlung werden kritisiert – besonders scharf von Ramsan Achmatowitsch Kadyrow, dem Premierminister von Tschetschenien, den Putin noch zum Generaloberst befördert hat. Der zweite harte Kritiker ist Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin, Chef der „Wagnertruppe“, die für ihre brutale Kriegsführung in Einsätzen in Afrika – auch in Mali – gefürchtet ist, was auch für die „Kydorowiten“ gilt.

Beide Kritiker, die jeweils über eine schlagkräftige Privatarmee verfügen, verlangen von Putin eine härtere Gangart. Auch in der russischen Bevölkerung wächst die Kritik an Putin. Durch die Teilmobilisierung ist der Krieg gegen die Ukraine stärker in das Bewusstsein der russischen Bevölkerung gerückt. Hunderttausende von jungen Männern haben sich durch die Flucht ins Ausland der Einberufung in die russischen Streitkräfte entzogen. Sie fehlen auch den Unternehmen und ihren Familien.

Sollte der Druck der Bevölkerung und die Flucht der jungen Reservisten zunehmen, wird die Kritik an Putin weiter gestärkt werden. Die jungen Reservisten werden im Schnellverfahren ausgebildet, aber mit alten Waffen in den Einsatz geschickt.

Die Ukraine profitiert von ungebrochenen finanziellen Hilfen, modernem Gerät und Waffensystemen aus vielen westlichen Staaten – nicht nur aus NATO-Staaten. Für die gegenwärtige Lage ist bezeichnend, dass die russische Stadt Bolgorod, die eine wichtige geostrategische Rolle im Südwesten Russlands spielt, von ukrainischen Kräften bombardiert wird.

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*) Brig. General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen und anschließend Berufssoldat. Einen Höhepunkt seiner Karriere bildete die Tätigkeit im Planungsstab von Bundesverteidigungsminister Dr. Manfred Wörner, wo er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig war. In den 90er Jahren fand er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte Verwendung und war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt. Schon während seiner Dienstzeit verfasste Farwick mehrere Bücher und andere Publikationen zu Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte. Im „Ruhestand“ engagierte er sich viele Jahre als Chefredakteur eines Newsservice für sicherheitsrelevante Themen und organisiert heute noch Tagungen zu diesem Thema an renommierten Instituten.

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