Der pädophile Sumpf des inner- und außerkirchlichen Postchristentums

Patrick Zäuner*

Mittlerweile ist die Erzählung vom pädophilen Pfarrer, der seine Ministranten missbraucht, weil er mit dem Versprechen der Ehelosigkeit nicht zurecht kommt, in den breiten Schatz der Volksweisheiten eingezogen. Zahlreiche Anekdoten, Cartoons und Kalauer im Boulevard bedienen sich dieses Themas, wenn sie auf Christentum und Kirche anspielen oder wenn ihnen sonst nichts Besseres einfällt.

Mittlerweile ist es sogar offiziell vom Landesgericht Berlin-Tiergarten bestätigt, die Katholische Kirche darf nach Aktenzeichen (263b Ds) 224 Js 3745/11 (228/11) eine „Kinderfickersekte“ genannt werden.

Innerkirchliche Grabenkämpfe

Selbst innerkirchliche Gremien sprechen mittlerweile von einem systemischen Missbrauch durch die Katholischen Kirche, ganz allgemein. Sie sehen die Schuld nicht nur bei einzelnen Tätern, sondern in der Struktur der Kirche. So sind auf Seite der Hierarchie immer mehr Bischöfe in die Kritik geraten, sie hätten weggesehen und trotz besseren Wissens Opfer ignoriert und Täter gedeckt. In Bezug auf die Lehre steht der sogenannte Pflichtzölibat und mit ihm immer wieder auch die gesamte kirchliche Sexualethik auf dem Prüfstand.

Dabei kann man feststellen, dass sich nicht wenige Mitarbeiter im kirchlichen Dienst aus eigenem Interesse mit dem Thema beschäftigen, denn ein Angriff auf Bischöfe eröffnet Räume, auch für Laien in besser dotierte und vermeintlich mächtigere Positionen aufzusteigen. Die Sexualethik der Kirche ist zudem schon lange ein gesellschaftlich angefeindetes Relikt, scheinbar aus einer älteren Zeit überkommen und angeblich mit der heutigen Lebenssituation nicht mehr vereinbar.

Kirche als ideales Täterversteck?

Die Frage, wie auf dem Boden einer Sexualethik, die keine sexuellen Handlungen ausserhalb der Ehe legitimiert und die Ehe als monogame Gemeinschaft zweier Personen unterschiedlichen Geschlechts definiert, sexueller Missbrauch an Minderjährigen und/oder an Schutzbefohlenen legitimiert werden kann, wird nicht gestellt. Es wird stattdessen behauptet, der Anspruch an die Gläubigen sei zu hoch und nicht einzuhalten, so dass Menschen quasi gezwungen seien, sich ausserhalb kirchlicher Regeln ein Ventil zu suchen, was dann eben auch zu Missbrauch führe.

Auch wird immer wieder angeführt, die Kirche sei aufgrund ihres sozialen Engagements, unter dessen Deckmantel sich Pädophile ihrer Zielgruppe nähern könnten, sowie der Möglichkeit, sexuelle Neigungen hinter einem Pflichtzölibat zu verbergen, die ideale Fassade für Triebtäter. Das mag auch sicher stimmen und früher, als Homosexualität gesellschaftlich geächtet war, noch deutlich mehr gegolten haben, aber ganz sicher ist der Zölibat nur eine von vielen derartigen Optionen.

Mit Bauernopfern lenkt man am besten von sich ab

Eines der wohl häufigsten Verstecke dieser Art, ist die Tarnung als Ankläger. Wer eine Anklage zuerst ausspricht und diese auch noch belegen kann, gilt meist selbst als unverdächtig. Dabei führt nicht selten Insiderwissen zur Anklage. Eigene Verfehlungen bemerkt man direkt bei anderen und was liegt näher, wenn man von sich ablenken möchte, als den Blick auf andere zu lenken? Wir sollten sowohl innerkirchlich als auch in der Gesellschaft mehr darauf achten, wer aus welchen Motiven Anklage erhebt. Das schmälert nicht die Schuld der angezeigten Täter, aber es entlarvt oft deutlich breiter angelegte Kreise.

Nicht selten sind die Angeklagten Bauernopfer. Während sich die Öffentlichkeit auf die vorgeführten Fälle stürzt, werden im Hintergrund die Fäden neu gezogen. Ein solches, allgemein menschliches Verhalten, können wir überall beobachten. Wir sehen es in der Kirche, wo der eine Bischof auf den anderen zeigt, während er selbst mehr schlecht als recht bemüht ist, sein Blendwerk aufrecht zu erhalten. Wir sehen es in der Politik, bei Firmen und überall, wo Menschen miteinander interagieren.

Kirche 2023: Viel Geld, wenige entweltlichte Christen

Im Fall der Missbrauchsanklage kann man heute die Katholische Kirche in der Rolle eines internationalen, sicher nicht unschuldigen, Sündenbocks sehen. Wer hat schon Sympathie mit einer Institution, an der der Mief von 2000 Jahren Geschichte hängt, die sich als moralisch überlegen gibt, aber in allen Kernbereichen moderner Weltanschauung, vom Lebensrecht bis hin zur Frauenquote, dem allgemeinen moralischen Empfinden widerspricht? Zudem ist die Kirche von innen heraus zutiefst zerstritten. Da sie über kaum noch überzeugte Mitglieder, dafür aber über viel Geld verfügt, bieten sich zahlreiche Hebel, Kräfte gegeneinander auszuspielen und dann mit dem Finger auf sie zu zeigen.

Ob es mehr am eher demütig und schuldbewussten Auftreten vieler Christen liegt, die nach bestem Wissen und Gewissen auch die eigenen Missstände aufarbeiten, oder doch an Korruption und Machtmissbrauch, kann lange diskutiert werden. Fakt ist, dass beides dazu beiträgt, in der Kirche von aussen her ein optimales Opfer zu sehen, das allein aufgrund der Größe nach wie vor alles andere in den Schatten stellt.

Ein gesamtgesellschaftliches Phänomen

Natürlich darf man nicht dem Trugschluss erliegen, es mindere die Schuld, von anderen angeprangert zu werden. Im Gegenteil: Nur durch Analyse relevanter Prozesse und konsequentem Nachverfolgen von Anschuldigungen kann Klarheit über Ausmaß und Strukturen gewonnen werden, als Grundlage für eine Aufarbeitung und Verbesserung der Situation. Dabei zeigt sich aber auch immer wieder, dass es ganz grundsätzliche menschliche Schwächen gibt, die sich in jeder Gruppierung zeigen und die nicht allein auf kirchliche Strukturen zurückzuführen sind.

Missbrauch wird von Menschen begangen, die nicht allein in der Kirche sozialisiert wurden, zudem ist über Generationen der kirchliche Einfluss stark gesunken. So kann man durchaus annehmen, dass sich die bereits erwähnte strenge christliche Sexualmoral bei Katholiken eher hemmend auf den lockeren, gerade von linker Politik beflügelten, offenen Umgang mit Sexualität auswirkt. Um dies zu prüfen, wäre es aber wünschenswert, wenn auch andere Gruppierungen der Kirche ähnlich offen mit Studien dem Missbrauch in eigenen Reihen nachgehen würden.

Kirche als freiwilliger und erwählter Sündenbock

Immer wieder erfährt man von Netzwerken, die polizeilich ermittelt wurden, von organisierten Porno-Ringen, bei denen vornehmlich auch Kinder mißbraucht wurden und bei denen die Täter aus mächtigen und angesehenen Kreisen stammen. Der Verdacht, dass es sich hier nur um die Spitze eines Eisberges handelt, steht im Raum. Es ist ja auch nicht einzusehen, warum sich Pädophile einzig in Strukturen der Katholischen Kirche einnisten sollten. Netzwerke, erpresserische Machtspiele und rücksichtslose Egomanen gibt es auch in anderen Strukturen: in Politik, in Sport, bei Militär, in Firmen und Amtsstuben, wo auch immer Menschen beisammen sind.

Besonders prädestiniert für ein Engagement von Menschen mit pädophilen Neigungen sind naturgemäß pädagogische Einrichtungen, von Kitas über Schulen bis hin zu Veranstaltern von Freizeitaktivitäten. Allein die immer früher einsetzende Sexualerziehung mitsamt ihrer politischen Lobby sollte nicht aus dem Blick geraten.

Wer stellt die Kirche an den Pranger?

Wenn man vom Missbrauch in der Katholischen Kirche liest, findet man vor allem zwei Quellen. Eine ist die Kirche selbst. Der Wille zur Aufklärung und Aufarbeitung ist wohl noch nie in einer Institution derart konsequent durchgeführt worden, wie in der Katholischen Kirche. Als Resultat erhält man einen düsteren Einblick in die menschliche Seele, es kommen unglaubliche Geschehnisse ans Licht und mit ihnen im Gefolge auch die üblichen menschlichen Grabenkämpfe. Die einen versuchen von sich abzulenken und mit allen Mitteln der Macht zu vertuschen, die anderen klären nach besten Möglichkeiten auf. Und dann gibt es noch die Dritten, die sich wie so oft als die Lachenden wähnen, die einen mittlerweile sprichwörtlichen Missbrauch mit dem Missbrauch betreiben und versuchen, die dort aufgebrachten Themen für ihre eigene Profilierung und Agenda zu benutzen.

Ausserhalb stehen natürlich alle kirchenfeindlichen Medien sofort auf dem Plan, wenn es darum geht, auf den alten Erzfeind einzutreten, der über so lange Jahre menschliches Moralempfinden, Kunst und Kultur – ja sogar die Wissenschaft geprägt hat. Hinter den Medien stehen meist politische Interessen und letztlich dieselben Kräfte, wie sie auch innerkirchlich auftreten: Menschen, die durch die Berichterstattung von eigenem Verhalten ablenken wollen, andere die aufklären und Dritte, die das Thema nutzen um ihrer anderweitig begründete Ablehnung der Kirche Ausdruck zu verleihen.

Wünschenswert

Wenn wir aus der Aufarbeitung des Missbrauchs in der Katholischen Kirche etwas lernen wollen, dann sollten wir vor allem auf das allgemein Menschliche sehen. Wir sollten genau hinsehen, wozu Menschen fähig sind, sowohl diejenigen, die ihre Macht missbrauchen, die andere Menschen auf demütigendste Art zum Objekt ihrer Begierde machen und nicht weniger jene, die solche Geschehnisse für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Das Thema ist ein gesamt-menschliches, nicht nur ein kirchliches.

Wir sollten die Ergebnisse der kirchlichen Aufarbeitung in allen gesellschaftlichen Bereichen nutzen, wir sollten ein Gespür dafür entwickeln, wo Machtstrukturen entgleisen, wo Abhängigkeiten ausgenutzt werden und wo Intriganten ihre perfiden Spiele auf Kosten anderer spielen. Es sollte eine gesellschaftliche Diskussion und Aufarbeitung stattfinden, die vor allem jene unter die Lupe nimmt, die gern wie Pontius Pilatus ihre Hände in Unschuld waschen, weil sie den Balken im eigenen Auge nicht sehen wollen.

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*Patrick Zäuner beschreibt sich selbst wie folgt: “Familienvater aus NRW, wohnhaft in München, vier Kinder, eines schwerbehindert, katholisch, an Geschichte und klassischer Philosophie interessiert, Naturliebhaber. Es ist der Mensch, der zählt und auf den alles hingeordnet ist. Weder eine Gruppe noch eine Weltanschauung, nicht eimal Natur und Kosmos tragen einen Wert in sich.”

Aus seiner Feder stammen unter anderen die Werke “Die Bestimmung des Menschen – Umwandlung von Natur in Kultur” und “Herausforderungen der KI“.

Der hier veröffentlichte Artikel erschien zuerst auf “Medias in Res” unter dem Titel “Der pädophile Sumpf

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