Schlimm, Schlimmer, Wirtschaftsweise – Zum Jahresgutachten 2022/23

PeterHelmes

Steuererhöhung sei Anleitung zur fiskalischen Sterbehilfe für den Mittelstand, heißt es… Der Sachverständigenrat hat am 9. November sein Jahresgutachten 2022/23 mit dem Titel „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten“ an die Bundesregierung überreicht. Erwartet wird für 2022 nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 1,7 % und für 2023 ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,2 %.

Kurzfristig müsse die Energieknappheit durch eine Ausweitung des Angebots und Einsparungen bekämpft werden. Zudem erwarten die Experten für 2023 eine anhaltend hohe Inflation von 7,4 Prozent.

Wie fast immer wird das Gutachten kontrovers diskutiert

Mit ihren Vorschlägen zur Steuerpolitik haben die fünf Mitglieder eine heftige Kontroverse ausgelöst; denn die fünf Wirtschaftsweisen regen an, daß einkommensstarke Haushalte zeitlich „streng befristet über einen Energie-Solidaritätszuschlag (Energie-Soli) oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes an der Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen beteiligt werden“ könnten. Ebenso sprechen sie sich dafür aus, den geplanten Abbau der kalten Progression, der steuersystematisch grundsätzlich geboten sei, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Um es gleich vorweg zu sagen: In einem Punkt haben die Wirtschaftsweisen recht: Die von der Bundesregierung geplanten Entlastungen kosten Milliarden und kommen auch denen zugute, die diese Hilfe gar nicht benötigen. Doch anstatt die Regierung für ihre falsch konstruierten Gas- und Strompreisbremsen zu rügen – und anzumahnen, daß solche Hilfen den Bedürftigen viel zielgerichteter zukämen, legt das weise Gremium Vorschläge vor, die alles noch schlimmer machen.

Lob für Ungerechtigkeiten und undurchdachten Aktivismus

Dazu gehört vor allem die Ablehnung des Planes von Christian Lindner zur Abschaffung der „kalten Progression“, die seit Langem ein absolutes Ärgernis ist und mit Steuergerechtigkeit nichts zu tun hat. „Kalte Progression“ entsteht, weil die Inflation die Nominallöhne antreibt – real aber nur auf dem Papier; denn der Steuerzahler gerät durch die Progression in eine höhere Steuerstufe. So müssen immer mehr Menschen immer höhere Steuern zahlen.

Oder deutlicher mißbilligt: Das ist kein „Reichen-Thema“, sondern ein Konstruktionsfehler unserer Steuersystematik. Oder noch deutlicher: Durch die Progression bereichert sich der Staat an der Inflation – das trifft vor allem Facharbeiter und Handwerker.

In ersten Reaktionen stießen diese Vorschläge bei Politikern der beiden Koalitionsparteien SPD und Grüne sowie der oppositionellen Linkspartei auf ein positives Echo. Umgehend scharf zurückgewiesen wurden sie hingegen von der dritten Koalitionspartei, der FDP. Deren Chef Christian Lindner, der zugleich Bundesfinanzminister ist, trat hierzu noch während der Pressekonferenz des Sachverständigenrats seinerseits vor die Medien.

In dieser Zeit der wirtschaftlichen Sorgen brauche es keine zusätzliche Unsicherheit, sagte Lindner. Die Bundesregierung plane keine Steuererhöhungen. Sie halte daran fest, daß man eher entlasten müsse. Es gebe weder aus ökonomischen Gründen noch aus Gerechtigkeitsgründen Anlaß für Steuererhöhungen.

Heftige Kritik auch aus Wirtschaftsverbänden

Der Vorschlag, gerade jetzt den Mittelstand höher zu besteuern, sei eine „Anleitung zur fiskalischen Sterbehilfe“, erklärte zum Beispiel Reinhold von Eben-Worlée, Präsident der Familienunternehmen. Er wies darauf hin, daß die Einkommensteuer auch „Zigtausende von Unternehmern“ treffe, die derzeit verzweifelt versuchen würden, ihre Firmen durch die Energiekrise zu retten. Ebenfalls in die Abwehrfront reihte sich unter anderen Lars Feld ein, der bis 2021 selbst Mitglied des Sachverständigenrats gewesen ist.

Der Sachverständigenrat begründet sie mit der Solidarität und der Entlastung der öffentlichen Haushalte. Das Gutachten weist zunächst darauf hin, daß die hohe Inflation ärmere Haushalte stärker belaste, weil diese einen größeren Teil ihres Nettoeinkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben würden, die sich besonders stark verteuerten. Umfangreiche Entlastungsmaßnahmen, wie sie die Ampelregierung eingeleitet hat, seien deshalb „grundsätzlich gerechtfertigt“.

Nehmt den Besserverdienenden die Vergünstigungen wieder weg!

Die Wirtschaftsweisen kritisieren aber, daß viele der beschlossenen oder geplanten Maßnahmen nicht zielgenau seien, weil sie wie der Tankrabatt die Energiesparanreize schwächen oder in großem Umfang auch einkommensstarken Haushalten zufließen würden, die die Belastungen selbst tragen könnten. Dadurch würden die Belastungen für den Staatshaushalt und die inflationstreibenden Nachfrageimpulse höher als notwendig ausfallen. Allerdings fehle derzeit ein Instrument, das eine zielgenaue, einkommensabhängige Entlastung von Haushalten in Form von Einmalzahlungen unbürokratisch und schnell erlaube. Ein solches müsse dringend geschaffen werden.

Solange eine zielgenauere Entlastung aber nicht möglich ist, könnten die erwähnten Steuermaßnahmen aus Sicht der Wirtschaftsweisen die Entlastungen teilweise gegenfinanzieren, die Schuldenaufnahme begrenzen und den inflationssteigernden Effekt der Entlastungen reduzieren. Oder salopp ausgedrückt: Da Gutverdienende unnötigerweise Staatshilfe erhalten, sollte man ihnen einen Teil davon wieder wegnehmen. „Dadurch würde das Gesamtpaket von Entlastungen und Belastungen insgesamt zielgenauer“, meint der Sachverständigenrat.

Die Grünen zwischen Lachen und Weinen

Zwar reden die Wirtschaftsweisen an vielen Stellen einem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien das Wort. Zugleich aber fordern sie, kurzfristig möglichst umfassend Kraftwerkskapazitäten zu mobilisieren, um die Gaskraftwerke am Strommarkt zu verdrängen und dadurch gleichzeitig Gas einzusparen und die Strompreise zu senken.

Die „Ampel“ hat sich im Oktober nach einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz  darauf verständigt, die letzten drei noch laufenden Atomkraftwerke (AKW) bis Mitte April 2023 weiterzubetreiben, statt sie wie bisher geplant per Ende Jahr vom Netz zu nehmen. Schon das war für die Grünen ein schmerzlicher Kompromiß, während der FDP-Chef Lindner eine Verlängerung bis 2024 forderte.

Die Wirtschaftsweisen schreiben nun, laut der Prüforganisation TÜV Süd stünde einem Weiterbetrieb des AKW Isar 2 keine sicherheitstechnischen Bedenken entgegen. Vor diesem Hintergrund sollte die Bundesregierung aus ihrer Sicht „sorgfältig prüfen, ob eine Laufzeit über den 15. April 2023 hinaus möglich ist“.

Unter den zahlreichen weiteren Themen im rund 430 Seiten dicken Gutachten stechen unter anderem folgende hervor:

Strukturwandel

Die Wirtschaftsweisen gehen davon aus, daß die Energiepreise in den kommenden Jahren wieder sinken, aber nicht zum Vorkrisenniveau zurückkehren werden. Der durch die Dekarbonisierung ohnehin anstehende Strukturwandel werde dadurch beschleunigt, aber eine breite Deindustrialisierung sei nicht zu erwarten. Staatliche Entlastungen sollten nicht darauf abzielen, den Status quo zu erhalten, sondern überlebensfähige Unternehmen und die Transformation der Industrie zu unterstützen.

Fachkräfte

Weil der Fachkräftemangel durch die demographische Entwicklung weiter verschärft werden dürfte, empfehlen die Wirtschaftsweisen zweierlei: Zum einen sollten inländische Fachkräfte durch standardisierte Weiterbildungsmodule und ein Recht auf Bildungs(teil)zeit für veränderte Anforderungen qualifiziert werden, und Geringqualifizierten sollte niedrigschwellige Weiterbildungsberatung angeboten werden.

Zum andern sollte der Arbeitsmarkt stärker für eine gesteuerte Erwerbsmigration aus Staaten außerhalb der EU geöffnet werden. Dazu beitragen könnte zum Beispiel die Abschaffung oder Vereinfachung der Gleichwertigkeitsprüfung der Qualifikationen für nicht reglementierte Berufe.

Schuldenbremse

Nach Einschätzung des Sachverständigenrats ließe sich eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse (die über den Konjunkturzyklus hinweg einen nahezu ausgeglichenen Staatshaushalt fordert) wegen der Energiekrise auch 2023 rechtfertigen. Die von der Bundesregierung stattdessen vorgesehene Verschiebung von Finanzierungsaufgaben in das „Sondervermögen Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (eine Art Nebenhaushalt, der nicht unter die Schuldenbremse fällt) beurteilt er kritisch, weil sie die Transparenz des Bundeshaushalts reduziere.

Mein Komentar: Ich bin die ständigen Hiobsbotschaften leid

Schreckensnachrichten tun genau das, was ihre Verursacher planen: Sie versetzen in Schrecken. Dabei geben die allgemeinen Entwicklungstrends durchaus Grund zu Hoffnung und Optimismus.

Aber: Es ist leicht zu glauben, daß das Leben auf der Erde immer schlimmer wird. Die Medien berichten fortlaufend von Katastrophen und stellen erschreckende Prognosen auf. Angesichts der Flut von Unkenrufen über den Klimawandel ist es verständlich, daß  viele Menschen glauben, die Welt würde untergehen. Tatsache ist, daß es zwar immer noch Probleme gibt, die Welt sich allerdings verbessert.

Unablässig wird uns von Naturkatastrophen berichtet, sei es die jüngste Hitzewelle, eine Überschwemmung, ein Waldbrand oder ein Sturm. Die Daten zeigen jedoch, daß wir im letzten Jahrhundert vor all diesen Wetterereignissen viel sicherer geworden sind. So kamen in den 1920er Jahren etwa eine halbe Million Menschen durch Wetterkatastrophen ums Leben, während die Zahlen im letzten Jahrzehnt im niedrigen fünfstelligen Bereich lagen.

Panikmache, wohin man auch schaut!

Um 1900 brannten jedes Jahr etwa 4,5 Prozent der globalen Landfläche. Im Laufe des letzten Jahrhunderts ist dieser Anteil gesunken; 2021 brannten nur noch 2,5 Prozent. Dies liegt vor allem daran, daß reichere Gesellschaften Brände verhindern. Modelle zeigen, daß bis zum Ende des Jahrhunderts trotz des Klimawandels noch weniger Brände entstehen werden. Und obwohl viele von rekordverdächtigen Kosten durch Unwetter gehört haben, sinken die Schäden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung.

Aber es ist nicht nur das Wetter, das trotz düsterer Vorhersagen immer weniger Schaden anrichtet. Vor einem Jahrzehnt verkündeten Umweltschützer lautstark, daß das prächtige australische Great Barrier Reef durch vom Klimawandel verursachte Bleiche fast tot sei. In diesem Jahr stellten Wissenschaftler fest, daß zwei Drittel des Great Barrier Reef den höchsten Korallenbewuchs seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1985 aufweisen. Die gute Nachricht erhielt jedoch nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit.

Schlechte Nachrichten als Manipulationstool

Ebenso ist es noch nicht lange her, daß Umweltschützer ständig Bilder von Eisbären verwendeten, um auf die Gefahren des Klimawandels hinzuweisen. Tatsächlich hat die Zahl der Eisbären zugenommen – von etwa fünf- bis zehntausend in den 1960er Jahren auf heute rund 26 000. Wir hören diese News nicht. Stattdessen haben die Aktivisten einfach aufgehört, Eisbären in ihren Kampagnen zu verwenden.

So werden wir von „bösen Nachrichten“ manipuliert und lassen uns in ein Weltuntergangsszenario treiben. Gute Nachrichten werden hingegen kaum noch zur Kenntnis genommen.

Aus „Wirtschaftsweisen“ wurden „Wirtschafts-Waisen“

Wie dem auch sei, in einem Punkt liegen die Wirtschaftsweisen absolut daneben: Ausgerechnet mitten in einer der schwersten Wirtschaftskrisen unseres Landes wollen diese Berater der Regierung die Steuern erhöhen! Das darf man wohl als fiskalische und ökonomische Dummheit bezeichnen, so gut die Absicht auch gemeint sein mag.

Diese Haltung dürfen wir nicht akzeptieren – und die Regierung schon gar nicht. Noch bedauerlicher ist der damit zu Tage tretende tiefe Fall dieses einst hochgeschätzten Gremiums, das damit schon wieder schiefe Schlagzeilen liefert. In diesem Zusammenhang möchte ich an diesen Artikel erinnern:

Die ehemals als „Hüter ordnungspolitischer Grundsätze“ profilierten und geachteten „Wirtschaftsweisen“ haben damit ihrer Reputation einen Tritt versetzt.

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