Auch das noch: „Deutsche Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge“

(www.conservo.wordpress.com)

Eine unglaubliche Darstellung der Ereignisse um Asyl und Flüchtlinge

Autor: Bernd Schwabe in Hannover  commons.wikimedia.org
Autor: Bernd Schwabe in Hannover
commons.wikimedia.org

Von Peter Helmes

Man faßt es nicht! Was Sie hier lesen, ist angesichts der Flüchtlingswelle, die Deutschland und weite Teile Europas gerade verzeichnen, unglaublich einseitig – die Handschrift eines besonders guten Gutmenschen. Ausgerechnet Deutschland mit seiner derzeitigen unfaßbar „liberalen“ Flüchtlingspolitik wird an den Pranger gestellt, als ob wir täglich die „armen Flüchtlinge“ verjagen oder in Massenlager pferchen würden.

Unter der Überschrift des „Newsletter vom 07.09.2015:

„Rückschlag für Berlin – Chaos bei Behörden und Gutmenschen ! Alle reinlassen ist Menschenrecht! Nun sind “Sprachregelungen” schuld! 06.09.2015 22:48“ veröffentlicht der renommierte Informationsdienst „German Foreign Policy“*) einen die Wirklichkeit höchst verzerrenden Kommentar – der bei genauerem Hinsehen eher einer Satire gleicht:

BERLIN/BUDAPEST/WIEN

(Eigener Bericht) – Ungeachtet einer überbordenden Welle ziviler Hilfsbereitschaft verschärfen die deutschen Behörden ihre rigorosen Abschottungsmaßnahmen gegen das Flüchtlingselend an der EU-Peripherie.

Die anhaltende Fluchtbewegung, die jetzt Deutschland erreicht hat, war Ende August durch eine unbedachte “Sprachregelung” des Bundesamtes für Migration (BAMF) ausgelöst worden. Demnach sollten Flüchtlinge aus Syrien ihre Anträge auch dann in Deutschland stellen dürfen, wenn sie die EU über eine nicht-deutsche Außengrenze erreichten.

Weil die Maßnahme als ein Asylversprechen missverstanden und mit den Behörden in Griechenland, Italien, Bulgarien, Ungarn und Österreich nicht rechtzeitig abgesprochen wurde, kommt es zu einer Fluchtpanik, die fortwirkt.

Die teils hilflosen, teils brutalen Abwehrmethoden an den Außengrenzen wecken “Erinnerungen an die schwärzesten Stunden Europas”, heißt es in der internationalen Presse, die sich auf Bilder deutscher Okkupationsverbrechen der NS-Zeit bezieht.

„Jagd“ auf Asylbewerber

Um den Weg nach Deutschland zukünftig abzuschneiden, plant der deutsche Innenminister sogenannte EU-Aufnahmestellen in Griechenland und in Italien. Dabei soll es sich um militärbewachte Massenlager handeln. Der deutsche Außenminister ruft zu verstärkten Abschiebungen der Asylbewerber auf, die zukünftig direkt aus den Massenlagern und ohne deutschen Boden zu betreten “zurückgeführt” werden können.

Zeitgleich beginnt die EU mit mehreren deutschen Marinezerstörern die “Jagd” auf Flüchtlingsboote im Mittelmeer, die angegriffen und zerstört werden, angeblich um sogenannte Schlepper zu bekämpfen.

Eine spontane Welle ziviler Hilfsbereitschaft in Österreich und Deutschland begleitet die Fluchtbewegungen aus den verwüsteten Kriegsgebieten westlicher Militärinterventionen. Die verstörenden Bilder von verzweifelten Menschen, die Einlass in den europäischen Wohlstandskern begehren, zeigen Ereignisse aus dem unmittelbaren Lebensumfeld und nicht länger fernere Welten.

Die Blockaden der Gleise im Euro-Tunnel, die seit Monaten andauernden Absperrungen der italienisch-französischen Grenze bei Ventimiglia, die Konfrontationen zwischen europäischen Touristen und tausenden Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln Lesbos oder Kos sowie die Massenwanderungen minderjähriger Flüchtlinge auf den Eisenbahnschienen zwischen Mazedonien, Serbien und Ungarn werden von einer zivilen Mehrheit im Zentrum der EU als unerträglich wahrgenommen.

Rechtsunverbindlich

Auslöser der sich zuspitzenden Fluchtereignisse ist ein interner Erlass des deutschen Bundesamtes für Migration (BAMF) vom 21. August 2015.[1] Zwecks Arbeitserleichterung teilte die Amtsleitung in einer “Sprachregelung” [2] mit, Anträge syrischer Asylbewerber würden auch dann in Deutschland bearbeitet, wenn die Fliehenden an den EU-Außengrenzen stranden.

Damit schien ein Transitweg in die Bundesrepublik geöffnet. Obwohl der Erlass rechtsunverbindlich ist, jederzeit zurückgenommen werden kann und die Ansprüche von Fliehenden absichtlich in der Schwebe hält, löste die Nachricht an den Grenzen der EU-Peripherie sowohl Hoffnungen wie Panik aus.

Deutliches Signal

Berechtigte Panik entstand wegen einer gleichzeitig verschärften deutschen Abschottungstechnik, über die am 1. September berichtet wurde. An diesem Tag eröffnete das Bundesamt für Migration (BAMF) eine weitere “Außenstelle in neuer Erstaufnahmeeinrichtung”.[3]

Ziel und Zweck der Massenanlage im bayerischen Manching ist es, Asylbewerber mit geringem oder angeblich aussichtslosem Anspruch auf Fluchtaufnahme räumlich so zu konzentrieren, dass die Schnellbearbeitung ihrer Anträge zu einer Abschiebung binnen kurzer Fristen führt.

In der bedrohlichen Sprache der deutschen Behörde “priorisiert (das Bundesamt) Verfahren von Antragstellern aus dem Westbalkan, um die Verfahren innerhalb weniger Wochen zu entscheiden und damit auch ein deutliches Signal in die Herkunftsländer zu senden”.

Keine Chance

Die logistische Konzentration setzt entsprechende Ankündigungen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) vom 16. August um.

Demnach hätten Flüchtlinge aus Albanien, Mazedonien, Montenegro und dem Kosovo “keine Chance” [4], da sie aus “sicheren Herkunftsstaaten” kämen. In Deutschland gäbe es “Schutz vor Krieg und Verfolgung, aber keinen Anspruch auf Arbeitsmigration”, unterstrich der SPD-Fraktionsvorsitzende Oppermann mit Blick auf die sozial Gestrandeten der deutschen militärischen Maßnahmen bei der Zerschlagung Jugoslawiens.

Menschenrechte

Daraufhin setzten sich Zehntausende der an den EU-Außengrenzen ankommenden Menschen Richtung Deutschland in Bewegung, um weiteren Abschottungstechniken zu entgehen und mit der rechtsunverbindlichen “Sprachregelung” des BAMF einen Transit zu erzwingen.

Offenbar uneingeweiht und gänzlich unvorbereitet reagierten die ungarischen und tschechischen Behörden. Die Szenen eingekesselter und mit der Bahn in Auffanglager deportierter Menschen, die auf nackter Haut nummeriert worden waren, erinnerte die New York Times an Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg.

“Es war fürchterlich, die Bilder von Polizisten zu sehen, die Nummern auf die Arme der Menschen schrieben” [5], zitiert das Blatt Robert Frölich, Rabbiner in Budapest.

“Das sind Echos des Holocaust”.

Zwar hätten die heutigen Ereignisse nichts mit einem Genoizid zu tun, fährt die New York Times fort, aber sie offenbarten einen eklatanten Widerspruch: zwischen dem EU-Eigenlob auf “Menschenrechte und Humanität” und der Unfähigkeit, “Einwanderer und Unterschiede” (der Herkunft) zu akzeptieren.

Ergreifen

Obwohl die angebliche Flüchtlingskrise den Zusammenbruch der ethischen Versprechen des gesamten EU-Bündnisses zum wiederholten Mal offenbart und die Fluchtpanik auf das Versagen einer deutschen Behörde zurückzuführen ist, lenken die Massenmedien der Bundesrepublik die berechtigte Empörung der zivilen Öffentlichkeit auf Dritte.

So werden die autoritären Zustände in Ungarn ausgiebig beschrieben, ohne die Zusammenhänge mit der radikalisierten deutschen Abschottungspolitik auch nur annähernd zu thematisieren.

Unbehandelt bleibt insbesondere, dass und wie es der Bundesrepublik seit 1985 gelungen ist, die Flüchtlingsabwehr von den eigenen Grenzen auf die Grenzen der EU-Peripherie zu verlagern.

Als würden die dort betroffenen Regierungen nicht immer wieder um Berücksichtigung der ihnen auferlegten technischen und finanziellen Herausforderungen bitten, weist Berlin entsprechende Anliegen entweder zurück oder umgeht sie.

So lehnte die Bundesrepublik 2014 eine Beteiligung und Weiterführung an der italienischen Seenotoperation “Mare nostrum” ab, obwohl dabei zehntausende Mittelmeerflüchtlinge gerettet wurden.

Statt der daraufhin abgebrochenen Rettungsaktionen forderte der deutsche Innenminister de Maizière paramilitärische Einsätze, die nicht auf Seenotrettung, sondern auf Ergreifung und “Rückführung” der Fliehenden angelegt sind (Frontex plus).[6]

Oktroyieren

Vor diesem Hintergrund stellen die jüngsten Ereignisse für Berlin einen Rückschlag dar.

Die “Hilfe für Flüchtlinge aus Ungarn soll Ausnahme bleiben” [7], warnt Steinmeier die deutsche Öffentlichkeit.

Der Einzug der Migrationswirklichkeit in den gesellschaftlichen Alltag, mediale Aufmerksamkeit und unerwartet starke zivile Hilfsbereitschaft erschweren eine stillschweigende Aussetzung des Asylrechts oder militärische Maßnahmen.

Die rigorose Trennung zwischen politischen und sozialen Kriegsfolgen, wie sie von den Spitzen der SPD gefordert wird, reicht für eine noch umfangreichere Flüchtlingsabwehr nicht mehr aus.

Deren Ziel ist die vollständige physische Verlagerung der Migrationswirklichkeit in Massenlager an den äußersten EU-Grenzen, um die Abschiebepraktiken so zu konzentrieren, dass sie den Blicken der zivilen Öffentlichkeit entzogen und militärischer Repression zugänglich sind.

Entsprechende Pläne wird Berlin bei dem in Aussicht genommenen EU-Gipfel vorlegen und die betroffenen EU-Mitglieder zur Umsetzung veranlassen.

Widerspruch werde nicht zugelassen, oktroyiert die deutsche Presse am gestrigen Sonntag und warnt Griechenland sowie Italien: “Nationale Selbstbestimmung kann es auch in dieser Frage nicht mehr geben”.[8]

[1] Bundesamt für Migration: Verfahrensregelung zur Aussetzung des Dublinverfahrens für syrische Staatsangehörige. Az. 411-93605/Syrien/2015 vom 21.August 2015.

[2] Pro Asyl: Dublin-Verfahren für Syrerinnen und Syrer generell ausgesetzt? www.proasyl.de 26.08.2015.

[3] Bundesamt für Migration (BAMF): Das BAMF eröffnet Außenstelle in neuer Erstaufnahmeeinrichtung in Manching . Pressemitteilung vom 01.09.2015.

[4] Steinmeier will Flüchtlinge schneller abschieben. www.welt.de 16.08.2015.

[5] Treatment of Migrants Evokes Memories of Europe’s Darkest Hour. www.nytimes.com 04.09.2015.

[6] Vgl. ARD Report Mainz: Krieg gegen Flüchtlinge. Sendung vom 05.10.2009. S. auch Der “Hotspot Approach” zur Flüchtlingsabwehr.

[7] Hilfe für Flüchtlinge aus Ungarn soll Ausnahme bleiben. www.zeit.de 05.09.2015.

[8] Deutschland schafft sich ab. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 06.09.2015.

*(Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59192)

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