Zehn Jahre „Arabischer Frühling“: Tunesien 2020 – zwar frei, aber noch immer instabil

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes, Albrecht Künstle u.a.

Eine ernüchternde Bilanz

Vor zehn Jahren schien es so, als erwache in großen Teilen Nordafrikas die Demokratie. Schnell tauften Medien und Gutgläubige die neu entstandene Bewegung (vor allem im Maghreb) auf den Namen „Arabischer Frühling“. Aber die Hoffnungen täuschten vielerorts, die hochgespannten Erwartungen ließen sich nicht erfüllen.

Fast überall gelang den in den arabischen Staaten regierenden Eliten, Militärs und Königshäusern der Machterhalt. Einzig in Tunesien ist nach dem Sturz von Zine al-Abidine Ben Ali eine fragile Demokratie entstanden. Andere Schauplätze wie Syrien, Libyen und Jemen versanken in verheerenden Bürgerkriegen. In Ägypten übernahm zwei Jahre nach dem Sturz von Hosni Mubarak ein noch repressiveres Militärregime die Macht.

Was die arabische Welt derzeit erlebt, sind Umbrüche, die Jahrzehnte dauern. Die Umwälzungen sind vergleichbar mit den Revolutionen von 1848/49, durch die sich Gesellschaft, Wirtschaft und Herrschaftssysteme in Europa grundlegend veränderten. Jeder zweite Araber ist unter 25 Jahre alt. Diese junge Generation erwartet von den Regierenden mehr als einst ihre Eltern und Großeltern. Sie wollen politisch, sozial und wirtschaftlich teilhaben, und dank neuen Technologien lassen sich ihre Gedanken und Aktionen nicht mehr so leicht kontrollieren.

In vielen Staaten der Region herrscht Ohnmacht. Zugleich bricht sich die Unzufriedenheit immer wieder Bahn: sei es bei Protesten im Irak, im Libanon oder im Sudan, wo ein Machtwechsel gelang. Es sind einzelne Frühlingsausläufer inmitten eines strengen Winters.

Auch in Europa hat sich die Euphorie über das arabische Erwachen von 2010 längst gelegt. Den Sieg Assads in Syrien hat man offenbar weitgehend hingenommen. Und Machthaber wie Ägyptens Staatschef Sisi gelten als Garanten von Stabilität. Doch den Europäern muß klar sein: Diese Stabilität könnte sich erneut als trügerisch herausstellen. Denn unter der Oberfläche brodelt es. Die Sehnsucht nach Brot, Freiheit und Würde lebt noch.

Lediglich in Tunesien ist die zarte Pflanze des Arabischen Frühlings noch nicht verdorrt. Das tunesische Volk setzte all seine Hoffnungen in die neue politische Klasse. Aber weit gefehlt. Von dieser Revolution, die von der ganzen Welt als Beispiel für einen friedlichen Übergang gelobt wurde, blieb nur wirtschaftliche Stagnation, Arbeitslosigkeit und mangelnde Entwicklung. Schlimmer noch, Tunesien ist hoch verschuldet. Viele Menschen sorgen sich um die Zukunft des Landes und um die kommenden Generationen, denen ein schweres Erbe hinterlassen wird. Das Land hat die Hoffnung nicht völlig verloren. Es ist notwendig, diese kleine Flamme wieder zu entfachen. Ansonsten wäre es eine Katastrophe.

Die Bilanz der Augsburger Allgemeinen ist beängstigend:

„Zehn Jahre später ist alle Euphorie verflogen, und aus der Riege der repressiven Staaten ist eine Achse der scheiternden Staaten geworden, ein Niedergang, den die Corona-Pandemie zusätzlich beschleunigt. Der katalytische Effekt des Arabischen Frühlings hat die Zerrüttung der arabischen Welt nur weiter vertieft. Im Zentrum dieses Fiaskos steht der autoritäre Gesellschaftsvertrag, mit dem arabische Autokraten ihre Bevölkerung seit Jahrzehnten gefügig halten. Sie erkaufen sich die Gefolgschaft ihrer Landsleute durch staatliche Wohltaten, finanziert durch die Einnahmen aus dem Verkauf von Öl, Gas und anderen Bodenschätzen. Wer trotzdem nicht spurt, dem schicken sie ihren überdimensionierten Polizei- und Sicherheitsapparat auf den Hals.“

(Peter Helmes)

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Albrecht Künstle, seit vielen Jahren Kommentator auf conservo, schreibt dazu:

Zehn Jahre „Arabischer Frühling“ im islamischen Winter

Von Albrecht Künstle

– Christen begehen Advent und Weihnacht als Aufbruch in eine bessere Zeit

– Haben die Muslime der Welt ebenfalls eine Perspektive und wodurch?

Der Advent (lat. adventus) steht in der christlichen Welt für Erwartung der Ankunft des Herrn, des Erlösers. Eine Erwartung anderer Art gab es vor zehn Jahren in der islamischen Welt.

Am 17. Dezember 2010 begann eine Zeit der Hoffnung auch in der arabischen Welt, nachdem sich in Tunis ein Gemüsehändler aus Verzweiflung über das Versagen der arabisch-muslimischen Obrigkeit anzündete. Die Selbstverbrennung war die Initialzündung für millionenfache Proteste in Ägypten, Libyen, Syrien, Bahrein, Jemen usw. Diese Protestwelle war für die Badische Zeitung der Anlass, den Auslandskorrespondenten Martin Gehlen ganzseitig über „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten und kommentieren zu lassen. „Die große Zerrüttung“ war der Aufmacher mit dem Untertitel, „Vom Arabischen Frühling blieb nicht einmal die Hoffnung“.

Schonungslos hält der Autor der arabischen Welt den Spiegel vor: „Im Zentrum des Fiaskos steht der autoritäre Gesellschaftsvertrag, mit dem die arabischen Autokraten ihre Bevölkerung gefügig halten.“ Dieser basiere auf dem „Rentierstaat“, der sich nicht primär auf eigene Arbeit, Innovationen und Wirtschaftskraft stütze. Den Rentierstaat machen Bodenschätze wie Öl, Gas und Phosphat, Immobiliengeschäfte und Devisentransfer von Landsleuten im Ausland aus, aber auch Finanzhilfen westlicher Länder. Die Verteilung der Mittel erfolge durch adelige Herrschaftsdynastien, mafiöse Kartelle aus Politikern, Generälen, Oligarchen – Mullahs im nichtarabischen Iran.

Die Bevölkerung gehe dabei leer aus, zwei Drittel der 400 Mio. Araber würden in prekären Verhältnissen leben. Die fetten Eliten und Machthaber erkaufen sich die Gefolgschaft ihrer Landsleute durch staatliche Wohltaten und einen aufgeblähten öffentlichen Dienst mit überdimensioniertem Polizei- und Sicherheitsapparat samt Militär. Diese Methodik des Machterhalts überfordert aber die Finanzkraft aller arabischen Staaten, zwei Drittel der Staatsetats gingen für den „Teufelskreislauf dieses autoritären Gesellschaftsvertrags“ drauf. Und der Westen unterstütze diese Regime die „Unsummen an Entwicklungsgeldern einstreichen“. Und mit erbetenen Waffen versorgen; fünf Prozent der Weltbevölkerung erhalten 35 Prozent der Waffen. Der Autor zeigte die Folgen anhand einiger Länder auf. Sie sind hinlänglich bekannt und werden hier nicht vertieft.

Vielmehr geht es mir darum, was es mit dem genannten „Gesellschaftsvertrag“ auf sich hat? Und ob es ein Zufall (?) ist, dass alle diese desolaten arabischen Länder eines gemeinsam haben – den Islam als Gesellschaftsform! Nein, das ist eben kein Zufall. Der Islam war von Beginn an keine bloße neue Religion, insbesondere keine abrahamitische, keine vom Judentum über das Christentum weiterentwickelte Religion. Der Islam war von Anfang an eine politische Ideologie unter dem Primat des Koran, dem alle weltlichen Normen und Gesetze unterzuordnen sind. Und diese Normen bestimmen so ziemlich alles menschliche Zusammenleben, auch das Unmenschliche. Dass der koranische Islam auch heute nicht missbraucht, sondern gebraucht wird, soll an wenigen Beispielen aufgezeigt werden, die zur trostlosen Situation islamischer Länder führt.

Zur Raffgier der herrschenden Eliten: Diese, nicht nur die arabischen, sondern aller islamischen Länder, stopfen sich die Taschen voll (wie es unsere nur erträumen). Schauen wir mal, wie das bei Muhammad war. Er behielt von der Beute seiner Raubzüge 20 Prozent ein, auch der Sklaven und Frauen. Den Rest „durften“ sich seine Hunderte und Tausende Krieger teilen. So ist es überliefert. Warum sollen dann die heutigen Ober-Muslime anders sein, wenn sie am Drücker sitzen wie damals Muhammad.

Zur Arbeitsmoral und Entwicklungsfähigkeit der muslimischen Welt: Diese ist in islamischen Ländern nicht deshalb unterentwickelt, weil deren Bewohner von Geburt an „faule Säcke“ wären. Vielmehr sehen sich Männer als Paschas, als Möchtegern-Herren über möglichst viele andere, insbesondere aber ihre Frauen. Auch das ist koranisch begründet, Frauen sind nur die Hälfte wert, was ihre allgemeine Stellung angeht, bis hin zu Zeugenaussagen und Erbangelegenheiten. Und Gesellschaften, die ihre Frauen nicht nur unter Klamotten verstecken, sondern auch wegsperren und aus der Arbeitswelt fernhalten, können eben nur wenig Wirtschaftskraft entwickeln, zumal die Frauen oft die Klügeren sind und produktiver sein könnten. Auch dieses Dilemma hat koranischen Ursprung.

Verhältnis zur Gewalt untereinander und gegen andere: Muhammad hat nicht nur hunderte „Ungläubige“ auf dem Gewissen, sondern hat einige selbst liquidiert, auch zwei Judenstämme. Die Legitimation dazu legte er auch für seine Nachfolger im Koran fest. Als Ungläubige gelten auch „buchgläubige“ Juden und Christen, nicht nur Atheisten. Aber auch andersgläubige islamische Zünfte. Im Jemen bekriegen sich letztere, aber nicht nur dort, sondern auch in Syrien, im Irak und anderswo. Wie Mao die permanente Revolution predigte, so ist auch der ewige Dschihad auf der Grundlage des ewigen Koran systemimmanent. Um solche Kriege zu führen, braucht es Waffen, viele Waffen. Dieses Geld fehlt an anderen Stellen.

Und wenn man den Judenstaat Israel bekämpfen will, nicht nur einen Judenstamm, braucht es sehr gute Waffen, weil die Juden dort gelernt haben, sich zu wehren. Und das rund um die Uhr. Nicht umsonst wurden die weltbesten Nachtsichtgeräte in Israel entwickelt. Es ist unglaublich wo: Ich war einmal in einem landwirtschaftlichen Kibbuz, und unweit der Stallungen wurden diese Geräte entwickelt und anfangs auch dort gebaut. Insbesondere von Frauen, was in einem arabischen Land schlecht vorstellbar wäre. Aber das erfordert leider auch viel Geld für die Verteidigung Israels, das anderweitig besser angelegt wäre. Jedenfalls hemmen die Rüstungsausgaben der arabischen Länder auch deren Entwicklung.

Auch Dr. Wilfried Buchta kommt in seinem Buch „Die Strenggläubigen“ und Veröffentlichungen „Endspiel am Golf“ oder „Der Abgrund der arabischen Welt“ zum gleichen Ergebnis wie ich.

Mein Appell an die muslimischen Gesellschaften: Wer das Scheitern des Arabischen Frühling aufarbeiten will, kommt an der Diagnose des Scheiterns der islamischen Ideologie nicht vorbei. Der im Koran angelegte politische Islam ist DAS systemimmanente Hemmnis nicht nur der arabischen Länder. Glaubt nicht, dass der Koran die Heilige Schrift Gottes ist, sondern das problematische Vermächtnis eines (schriftunkundigen) Muhammad.

Liebe Muslime, macht den Islam zu euerer Privatsache und euere Islamischen Staaten zu säkularen Ländern. Betrachtet euere Frauen als vollwertige Menschen und arbeitet mit ihnen so inbrünstig wie ihr betet. Glaubt an euch selbst und jagt eure Herrscher zum Teufel, ohne sie durch andere Islamisten zu ersetzen. Nur so gebt ihr eueren Kindern die Chance einer lebenswerten Zukunft. Auch euch einen guten Advent – die Hoffnung auf die Ankunft einer besseren Zeit.

Albrecht Künstle

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Einen vertiefenden Rückblick entnehme ich dem Dlf:

Tunesien 2020 – zwar frei, aber schlingert immer noch

(Quelle: Deutschlandfunk, 17.12.20)

„Am 17. Dezember 2010, einem Freitag, hatte sich Mohamed Bouazizi in der zentraltunesischen Kleinstadt Sidi Bouzid vor der Regionalverwaltung mit Benzin übergossen und angezündet. Er war verzweifelt, weil eine Polizistin dem fliegenden Händler seinen Karren mit Gemüse und die elektronische Waage konfisziert hatte, da ihm die Verkaufserlaubnis fehlte. Die Verzweiflungstat des 26-Jährigen war kein Einzelfall. Im selben Jahr hatten sich in Tunesien bereits zwei andere junge Männer angezündet.

Doch Mohamed Bouazizi wurde zum Symbol einer ganzen Generation arbeits- und perspektivloser junger Menschen, die versuchten, irgendwie über die Runden zu kommen. Er löste mit seiner Tat eine nie dagewesene Protestwelle aus.

In Tunesien schlugen die Demonstranten innerhalb eines Monats den langjährigen Machthaber Zine El Abidine Ben Ali in die Flucht. Im Rest der arabischen Welt gipfelten die Proteste in Aufständen, Umbrüchen und Bürgerkriegen. Eine ganze Reihe an Faktoren führte bis zu diesem Punkt. Die Öffentlichkeit vom ersten Tag an war einer davon.

Zine El Abidine Ben Ali, ehemaliger Geheimdienstler, Innen- und Premierminister, hatte 1987 den alternden Habib Bourguiba, den ersten Präsidenten Tunesiens nach der Unabhängigkeit 1956, aus medizinischen Gründen für amtsunfähig erklärt und so aus dem Amt geputscht. In den 23 Jahren seiner Herrschaft hatte Ben Ali ein autoritäres Regime aufgebaut, das ungleich repressiver und brutaler als das seines Vorgängers war.

Überwachung, Zensur und Folter waren an der Tagesordnung, von politischer Pluralität und Meinungsfreiheit wagten die meisten Tunesierinnen und Tunesier kaum zu träumen. Nach außen hin präsentierte sich Ben Ali als Stabilitätsanker in Nordafrika, zwischen dem im blutigen Bürgerkrieg versinkenden Algerien auf der einen und Libyen mit seinem exzentrischen Machthaber Gaddafi auf der anderen Seite. Die wirtschaftlichen Indikatoren schienen ihm recht zu geben – zumindest auf dem Papier. Doch in Wahrheit bereicherte sich vor allem der Familienclan von Ben Alis Ehefrau Leila Trabelsi, der alle wichtigen Branchen kontrollierte, während vor allem das Landesinnere von der wirtschaftlichen Entwicklung abgeschnitten waren. Für die Mehrheit der Bevölkerung ging diese Rechnung von Zuckerbrot und Peitsche Ende der 2000er Jahre nicht mehr auf. Bereits 2008 hatten heftige Proteste ein halbes Jahr lang die Bergbauregion um Gafsa, rund einhundert Kilometer südwestlich von Sidi Bouzid erschüttert.

2010 beschleunigten sich die Ereignisse. Im Sommer kam es an der Grenze zu Libyen zu Protesten und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch hier ging es um sozio-ökonomische Fragen. In der Hauptstadt Tunis bildeten sich seit dem Frühjahr kleine Initiativen, die gegen die Zensur protestierten. Ende November wurden die Wikileaks-Dokumente veröffentlicht, in denen auch die korrupten Praktiken tunesischer Offizieller und der Präsidentenfamilie benannt wurden.

„An diesem 17. Dezember, da war der Boden bereitet. Wir haben die Mauer der Angst eingerissen.“

Der damals 74-jährige Präsident Ben Ali saß in den letzten Jahren seiner Amtszeit längst nicht mehr so fest im Sattel, wie es auf den ersten Blick schien. Das Regime, das über Jahre den Anschein erweckt hatte, unantastbar zu sein, bröckelte.

Mohamed Bouazizi starb am 4. Januar 2011 in einem Spezialkrankenhaus für Verbrennungsopfer in Tunis. Die Proteste breiteten sich schnell aus, zusätzlich angestachelt vom brutalen Vorgehen der Polizei, die teils wahllos in die Menge schoss. Zunächst erreichten sie die verarmten Orte um Sidi Bouzid, doch nach wenigen Tagen erfassten sie auch die Hauptstadt Tunis und andere Großstädte. Anwälte und die Regionalverbände des mächtigen tunesischen Gewerkschaftsbunds mit seinen rund 750.000 Mitgliedern schlossen sich der Bewegung an und koordinierten die Proteste.

„Arbeit, Freiheit, Würde“ wurde zum wichtigsten Slogan der Proteste, über die sozialen Netzwerke direkt in die tunesischen Wohnzimmer gesendet. Die Proteste brachten auch Zerwürfnisse innerhalb des Staatsapparates ans Licht, sagt Hamza Meddeb.

Das Regime ist gefallen, weil es in sich gespalten war. Ein Teil des Regimes hat ihm die Loyalität gekündigt und Ben Ali und seine Familie geopfert. Dezember 2010, Anfang Januar 2011, als das Regime völlig überfordert war und die Bewegung sich ausgebreitet hat, als die Sicherheitskräfte, die bis dahin das Rückgrat von Ben Alis Regime gewesen waren, überfordert waren, hat sich die Armee entschieden, Ben Ali fallen zu lassen. Außerdem haben wir gesehen, dass die Staatspartei RCD absolut nicht in der Lage war, die Demonstranten zu beruhigen, auf lokaler Ebene Lösungen zu finden oder Verhandlungen mit den Demonstranten in die Wege zu leiten.

Heute, zehn Jahre nach dem Umbruch, sind Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zur Regel geworden, die Presse- und Meinungsfreiheit keine Neuheit mehr und die Parteien koalieren in wechselnder Besetzung ungeachtet aller ehemaligen ideologischen Grabenkämpfe.

Doch politisch und wirtschaftlich schlingert Tunesien mehr, als die Menschen 2011 erwartet hatten. Die Euphorie der Anfangsjahre ist längst Geschichte, denn die Revolutionsrendite ist für den Großteil der Bevölkerung ausgeblieben und der Frust entsprechend hoch.

Neun Regierungschefs gab es in den letzten Jahren. Wichtige Institutionen wie das Verfassungsgericht existieren nach wie vor nicht, das Parlament streitet über Verfahrensfragen, während die Wirtschaft nicht erst seit der Corona-Krise am Boden liegt. Der tunesische Dinar hat seit der Revolution gegenüber dem Euro mehr als zwei Drittel seines Werts verloren und viele internationale Geber verlieren langsam die Geduld. Mit dem Frust macht sich auch Nostalgie breit und immer häufiger hört man Tunesier sagen, dass es ihnen unter Ben Ali besser gegangen sei. Die Forderungen der Revolution sind auf der Strecke geblieben. Zehn Jahre danach häufen sich die Proteste, während die Anhänger des 2019 verstorbenen Ben Ali und seines Regimes wieder an Boden gewinnen.

Obwohl viele in der Verfassung vorgesehene Garantien gegen einen Rückfall in ein autoritäres System nach wie vor nicht existieren und die alten Kräfte Rückenwind haben, konnte Tunesien bis jetzt die fragilen Ansätze der Demokratie bewahren. Vor allem, weil niemand die nötige Macht habe, das zu ändern, glaubt Meddeb.

„Wir haben es hier nicht mit einem Machtgleichgewicht zu tun, sondern mit einem Gleichgewicht der Machtlosigkeit. Es gibt heute keine politische Kraft, die in der Lage wäre, die Macht zu übernehmen. Sie sind alle machtlos und schwach. Deshalb konnte bis jetzt der Rückfall in ein autoritäres System verhindert werden.“ (Ende Kommentar Dlf)

Ob der viel gelobte demokratische Übergang noch zu retten ist?

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Ich verweise auch gerne auf den lesenswerten Artikel auf PP: https://philosophia-perennis.com/2020/12/20/islamischer-winter-zehn-jahre-arabischer-fruehling/ )

www.conservo.wordpress.com     23.12.2020
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