Kleine Fakten für Putinversteher

putindm_468x658Von Waldemar Pabst

Beliebt in Zeiten wie diesen, in denen es brenzlig zu riechen beginnt, ist das Verschanzen hinter Unwissen oder das Verständnis für die Motive des Aggressors. Beides erlaubt das zurückgelehnte Zuschauen ohne schlechtes Gewissen oder wichtigtuerisches Dummschwätzen über vermeintlich komplizierte Situationen, mit tiefgründigen Beschreibungen der Motive von Kriegsherren und Menschenfeinden, garniert mit den ungeniert aberwitzigsten Räuberpistolen über finstere westliche Machenschaften, von 6.000 heimlich nach Deutschland gebrachten britischen Panzern (die gesamte NATO verfügte zur Hochzeit des Kalten Krieges über 5.000), bis hin zum EU-Griff nach der Schwarzmeerflotte (was zur Hölle wollten Brüssels Bürokraten mit rostigen Schiffen in einem Binnenmeer, egal, nur nicht mit Realität aufhalten). Jeder möchte mal Schwall-Schwadroneur sein.

Seit Jahren und mit Sorgfalt hat Putins Russland sich durch die gesamte Bandbreite der Politik dienstbeflissene Helfer geschaffen. Dass die umbenannte SED auf der Linken, einst sowjetische Gründung, weiter zu ihrer Geschichte steht, entspricht den Erwartungen, die Verschwörungstheoretiker vom Schlage Elsässer, Kopp Verlag und Ken Jebsen finden neue Nahrung für ihren Hass auf die freie Welt, Regierungspolitiker wie Gernot Erler spielen Lobbyisten, Gazprom-Gerd Schröder waltet seines Amtes, die sonst geschätzte Publizistin Bettina Röhl und andere Schreiberlinge machen es auf intellektuelle Weise, AfD wie Neue Rechte sehen in Russland den Heilsbringer für die deutsche Weltgeltung. Alle gehen mit geschriebenem Dauerfeuer in Stellung, um dem Annektionskrieg beizuspringen. Junge Welt und Junge Freiheit Arm in Arm, es könnte zum Lachen sein, wenn der Anlass nicht so traurig wäre und die verbreiteten Lügen nicht derart krass das Gegenteil der Wahrheit verkündeten. Dabei sind die inneren Verhältnisse der Ukraine gar nicht relevant zur Beurteilung des gezielten russischen Vorgehens und der offenen Angriffs- und Annektionsplanung.

Richtig ist, dass in der Ukraine nach langen Massenprotesten ein Machtwechsel stattgefunden hat. Richtig ist ebenso, dass es sich dabei weder um einen revolutionären Umsturz noch einen Putsch, schon gar keinen faschistischen, handelte. Vielmehr hat das ukrainische Parlament mit der Mehrheit der Partei des seinerzeitigen Präsidenten diesen abgesetzt, nachdem er Scharfschützen gezielt auf Menschen wie auf Hasen schießen ließ, mit mehr als 100 Toten, während sein Mentor Putin Olympia spielte. Die Absetzung des Präsidenten erfolgte im Einklang mit dem Recht und stellte nach den Morden die Gesetzlichkeit wieder her. Wilde Behauptungen über eine antisemitische Ausrichtung der Maidanproteste waren gezielte Lügenpropaganda oder sogar durch russische Agenten provoziert.

Die neue Regierung hat weder Gesetze gegen die russische Minderheit erlassen oder geplant, noch den Status der Krim zu verändern beabsichtigt, schon gar nicht die russischen Rechte in Sewastopol in Frage gestellt. Alle Verträge und Gesetze wurden eingehalten. Keine Diskriminierung, keine Verfolgung, gar nichts.

Unabhängig von der Zusammensetzung der Bevölkerung in einzelnen Landesteilen, hat Russland die Grenzen der Ukraine nicht nur völkerrechtlich anerkannt, vielmehr garantiert. Dies in einem Abkommen mit den USA, Großbritannien und eben der Ukraine, die dafür ihre Atomwaffen an Russland übergab. Es ist daher völlig überflüssig zu lamentieren, ob es ein ungerechter Zufall war, der die Krim der Ukraine zuschlug oder die dortige Bevölkerung angeblich heim ins Reich strebt. Russland selbst, um es zu wiederholen, hat die Grenzen anerkannt und garantiert. Die Besetzung der Krim mit dem Ziel der Annektion ist nicht nur Vertragsbruch, sondern geächteter Angriffskrieg. Dafür dürfte es nicht einmal Verständnis geben, wenn alle Krimbewohner auf Knien Putins Intervention erflehten und es keine Tataren gäbe, die die Okkupation fürchteten. Wenn es möglich wird, dass Grenzen mit militärischer Gewalt vom Nachbarn geändert werden und grundlegende Verträge zu Papierfetzen mutieren, ist das gesamte Sicherheitssystem Europas wertlos.

Putins Szenario folgt geradezu ohne jede Originalität dem Vorgehen der Vergangenheit. Mit Janukowitsch war eine Führung der Ukraine installiert, die sich mehr und mehr in die Hegemonie Russlands begab. Als genau dies zum Regierungswechsel führte, wurde Chaos provoziert, wurden Schreckensmeldungen verbreitet und schließlich ein Hilferuf durch einen Vasallen geordert, Anlass der bewaffneten Intervention. Dasselbe Schema wie in Ungarn 1956, der Tschechoslowakei 1968 und Afghanistan 1979. Nur, dass es in der Propaganda nicht mehr um den Schutz des Sozialismus geht, stattdessen im Ausland lebende Russen zu retten wären. Hier geht das Déjà-vu noch weiter zurück, so nämlich argumentierte Hitler 1938 gegenüber den Tschechen bei der Annektion des Sudentenlandes und 1939 gegenüber Polen. Wer Putin nicht anhand seiner Handlungsmuster durchschaut und die Brandgefährlichkeit der Lage erkennt, ist entweder geschichtslos oder schlägt sich bewusst mit Blindheit, damit das Weltbild keinen Knick bekommt.

Putin ist bereits ähnlich in Georgien vorgegangen. Seine Vollmachten für den Angriffskrieg, die ihm sein Parlament ausstellte, betreffen außer der Krim die gesamte östliche Ukraine. Es geht also um nichts weniger als die Zerschlagung eines großen Staates mitten in Europa. Wenn dies trotz Grenzgarantie möglich wäre, weshalb bitte sollte es Putin dabei belassen? Dieselben Argumente, wie heute verwendet, wären auch gegen die baltischen Staaten vorzubringen. Dann Polen? Wo endet vertragsbrüchige Gewaltpolitik, wenn sie funktioniert? Wieder das Déjà-vu; Wehrpflicht, Rheinlandbesetzung, Anschluss Österreichs, Sudetenland, Polen. Der Erfolg macht die Gier.

Es kann nur eine Antwort geben, falls Russland nicht den Rückzug antritt. Das unmissverständliche “Nein” zur Akzeptanz der Gewalt, Sanktionen gegen Russland, auch wenn die Wirtschaft heult, politische und wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine, damit der Preis, den Putin zu zahlen hat, höher ist, als der Gewinn. Das russische Volk ist kein monolithischer Block, der auf Ewigkeit der jetzigen Führung folgt. Dies aus massivem Eigeninteresse zur Verhinderung der kriegerischen Destabilisierung der gesamten mittelosteuropäischen Staatenwelt ohne jede emotionale Bewertung der Entwicklung in der Ukraine. Dazu gehört ebenso eine Änderung der Energiepolitik, weg von der Abhängigkeit vom russischen Gas, ein Überdenken der abgerüsteten Bundeswehrstrukturen und vor allem eine demonstrative solidarische Stärkung Polens und der baltischen Staaten. Die Ostseepipeline, mit der Deutschland und Russland gemeinsam Polen zum potentiellen Objekt russischer Erpressung machten, war ein Verbrechen gegen die deutsche wie polnische Sicherung von Freiheit, Wohlstand und Stabilität, mit dem ein deutsche Kanzler sich das Entrée verschaffte, auf die Payroll des russischen Autokraten zu gelangen. Ein Vorgang von beispielloser Ungeheuerlichkeit.

Putin hat im vergangenen Jahr gesehen, dass er die westliche Welt mit einem Snowden lächerlich machen und spalten konnte, dass ein amerikanischer Präsident vor ihm in Syrien kapitulierte, seine roten Linien überschreiten ließ und dem Iran, mit dem Putins Russland sich auf dem Weg zu neuer imperialer Größe hemmungslos verbündete, das Atombombenbasteln mit dem Ziel der Möglichkeit zur Shoa 2.0 weiter erlaubte. Er konnte Politik und Journaille bei uns kaufen und beeinflussen, wie es ihm gefiel. Das, nur das, hat seine Kriegsgelüste befördert. Ändern wir unsere Schwäche, wird Russland zu Zivilisation und Recht zurückkehren. Tun wir es nicht, haben wir die Folgen nicht besser verdient.

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