Klein-Sozi und die Marktwirtschaft

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Der „Schlag ins Gesicht der Beteiligten“

Die ernüchternde Nachricht auf t-online: „Bei der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann könnten bei der Übernahme durch Edeka nach Medienberichten tausende Jobs wegfallen.kaisers

Auf die angeblichen Pläne von Edeka, bei der Übernahme der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann zahlreiche Stellen streichen zu wollen, haben Politiker verschiedener Parteien mit Empörung reagiert.

Die Überlegungen von Edeka seien ein „Schlag ins Gesicht der Beteiligten“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Gitta Connemann. Die wettbewerbspolitische Sprecherin der Grünen, Katharina Dröge, sagte dem „Handelsblatt“: „Ich hätte nicht erwartet, daß Edeka so kurzfristig Stellenstreichungen ankündigt und Gabriel damit vorführt.“ Das zeige, wie naiv es von dem Bundeswirtschaftsminister (SPD) gewesen sei, zu glauben, man könne Edeka daran hindern, Mitarbeiter zu entlassen.

Stellenstreichungen stehen im Widerspruch zu Auflagen

Gabriel hatte für die Übernahme der Kaiser’s-Tengelmann-Filialen im März eine Ministererlaubnis erteilt und damit ein Nein des Bundeskartellamts überstimmt. Die Erlaubnis ist allerdings mit harten Auflagen verbunden und kann bei Verstößen wieder zurückgezogen werden. Voraussetzung sind unter anderem Tarifverträge mit Verdi und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), mit denen so gut wie alle 16.000 Jobs bei Kaiser’s Tengelmann vorerst gesichert werden.

Über den beabsichtigten Stellenabbau hatten die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) und das „Handelsblatt“ berichtet. Dabei beriefen sie sich auf Informationen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die derzeit mit Edeka Tarifverträge aushandelt.

Supermärkte sollen umgewandelt werden

Demnach sollen in Nordrhein-Westfalen mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze wegfallen. Edeka wolle das Dienstleistungszentrum in Mülheim komplett schließen und den 424 Mitarbeitern dort keine Weiterbeschäftigung anbieten. Von den 129 Kaiser’s-Tengelmann-Filialen in NRW sollten 61 auf das Format des Edeka-Discounters Netto umgestellt werden. 29 würden nach den Plänen in eine eigenständige GmbH der Edeka übergeleitet. Für die Beschäftigten in den restlichen Filialen biete Edeka keine Arbeitsplätze an.“ Soweit die Nachricht auf t-online (http://www.t-online.de/wirtschaft/unternehmen/id_77721926/edeka-sogt-mit-plaenen-zum-stellenabbau-fuer-empoerung.html).

Supermarkt-Ketten: Alle Macht den „großen Vier“

Der Supermarkt-Riese Edeka kann nach der Ministererlaubnis also den maroden Konkurrenten Kaiser’s/Tengelmann übernehmen und damit Edekas ohnehin deutliche Vormachtstellung noch weiter ausbauen. Um aber die Tragweite der Ministererlaubnis zu verdeutlichen, sollte man die Eckdaten dieses Marktes kennen:

Vier Unternehmen mit zusammen 85 Prozent Marktanteil

Nicht nur das Kartellamt warnt seit Jahren vor einer gefährlichen Tendenz zur Konzentration im Lebensmittel-Einzelhandel, sondern nahezu alle Fachleute. Und diesmal, bei der Fusion von Edeka mit Tengelmann/Kaisers, noch deutlicher: Die Nr. 1 der Lebensmitteleinzelhändler Deutschlands schluckt die angeschlagene Nummer sieben. Ein normaler ökonomischer Vorgang, könnte man meinen.

Doch die Fusion verstärkt einen problematischen Trend: Die stetig wachsende Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel. Deswegen fühlte sich vor Gabriels Ministererlaubnis auch das Bundeskartellamt berufen, den Fall näher anzuschauen. Denn Präsident Andreas Mundt blickt mit Sorge auf diese Veränderungen: „Wir haben es im Lebensmitteleinzelhandel mit einer sehr konzentrierten Branche zu tun. Vier Unternehmen mit 85 Prozent Marktanteil in Deutschland.“

Gut gemeint

Sigmar Gabriel wollte sich gewiß als Schutzpatron von Arbeitnehmern profilieren. Aber er blieb eine überzeugende Antwort auf die Frage schuldig, warum mit Edeka ausgerechnet die Nummer Eins im Lebensmittelhandel jetzt noch größer werden darf. Die Ministererlaubnis, mit der sich Gabriel über das vom Bundeskartellamt ausgesprochene Übernahmeverbot hinwegsetzte, paßt vorzüglich ins sozialdemokratische Weltbild, wie er es alle Welt wissen lassen möchte.

Aber wenn schon Fusion, warum hat er nicht dafür gekämpft, Kaiser’s Tengelmann einem kleineren Handelsunternehmen zuzuschlagen? Das wäre ordnungs- und wettbewerbspolitisch sauberer gewesen. Eine der (wohl ungeahnten) Folgen liegt auf der Hand: Die Wahrscheinlichkeit bei Edeka ist durch sein breites Handelsnetz viel größer als bei anderen Ketten, daß jetzt Doppelstandorte entstehen. Und niemand wird Edeka dann daran hindern können, im Zweifel die bisherige eigene Filiale dicht zu machen, weil die ehemalige Kaiser’s Tengelmann-Filiale auf der anderen Straßenseite ja unter Schutz der Bedingungen der Ministererlaubnis steht.

Durch die Fusion mit Kaiser’s/Tengelmann wird, wie gesagt, die Vormachtstellung von Edeka weiter anwachsen; denn die Edeka mit ihrem Discounter Netto ist Marktführer. Nahezu jeder vierte Euro bei einem Lebensmitteleinkauf in Deutschland landet in einer Edeka- oder Netto-Filiale. Und auch der Abstand zum Zweitplatzierten, die Kölner Rewe-Gruppe, ist deutlich. Zu Rewe gehört der Discounter Penny. Fast gleichauf die Schwarz-Gruppe, zu der neben Lidl auch die Kaufland-Märkte zählen. Auf Rang vier dann die Discount-Marktführer Aldi Nord plus Aldi Süd.

Schmales Sortiment, viele „Must Haves“

Der Wettbewerb untereinander wird schärfer. Zur Marktabsicherung bzw. –erweiterung bauen Aldi Süd, aber auch Lidl in ihr schmales Sortiment zunehmend wichtige Markenartikel ein, die „Must Haves“, damit der Kunde nicht noch zum konkurrierenden Vollsortiment-Supermarkt geht. (Zum Begriff „schmales Sortiment“ eine kurze Erläuterung: Die Unterschiede im Artikelangebot sind gewaltig, und das wird so bleiben: Vollsortimenter können, je nach Verkaufsfläche, ihren Kunden 20.000, 30.000, bis zu 100.000 verschiedene Artikel bieten. Ein Discounter um die 1.000 bis 2.000 Artikel.)

Das gefiel und gefällt vielen nicht, vor allem nicht dem Bundeskartellamt. Die Bonner Behörde untersagte die Fusion bereits im letzten Jahr, weil es aus Sicht der Kartellwächter in bestimmten Regionen zu einer unverantwortlichen Dichte an Edeka-Märkten gekommen wäre. Sprich, der Konsument hätte eine eingeschränkte Händlerauswahl gehabt.

Der Schutz des Verbrauchers vor einem Verlust an Händlerauswahl – das war für das Bundeskartellamt nicht das einzige Argument gegen die Fusion. In einer breit angelegten Sektoruntersuchung, in der Markenhersteller und Einzelhandelsunternehmen befragt und Preisverhandlungen analysiert wurden, ging es um das Machtverhältnis Lebensmitteleinzelhandel und Produzenten:

„Der Handel ist bezüglich vieler Hersteller und vieler Produkte marktmächtig.“

Klingt unverdächtig, beinhaltet aber mächtig viel Sprengstoff. Denn in Klartext bedeutet dieser schöne Satz des Kartellamtes:

Die Supermärkte diktieren den Herstellern die Preise, was insbesondere die kleinen und mittleren Produzenten trifft.

Allerdings – das sei fairerweise hinzugefügt – gibt es auch eine andere Seite, wie das Kartellamt betont: „Wir haben da auch ein differenziertes Bild vorgefunden. Sie haben natürlich auch Produkte, wo sich der Einzelhandel und die Hersteller auf Augenhöhe begegnen. Das sind die sogenannten Must Haves; Produkte, auf die der Lebensmitteleinzelhandel nicht verzichten kann…“

Nutella & Co. – mächtige „Must Haves“, aber nur 6 Prozent Marktanteil

Dazu gehören zum Beispiel die besonders bekannten und beliebten Markenartikel wie Nutella, Haribo, Milka oder Coca Cola. Und Konzerne wie Ferrero, Nestle, Unilever oder Coca Cola Company wissen um die Unverzichtbarkeit ihrer Produkte. Diese Must Haves machen aber nur rund sechs Prozent in den Regalen eines Vollsortimenters wie Rewe, Edeka, Real oder Kaufland aus, die hauptsächlich mit Markenartikeln handeln. Wer über keine Must Haves verfügt – und das sind vor allem kleine und mittlere Hersteller – scheint den Handelsgiganten unterlegen.

Deutschlehrer spielt Marktregulierer

Und nun tritt der „Schutzpatron des kleinen Mannes“, der Vorsitzende der (ehemaligen) Arbeiterpartei SPD, der Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf den Plan. Gabriel ist Lehrer, Wirtschaft ist nicht sein Fach. Aber der liebe Gott hält sich wohl an seine göttliche Weisheit: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand. Allerdings, das darf man dem Allerhöchsten wohl sagen, diesmal geht´s voll ins Auge:

Am 17. März 2016 trat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor die Presse in Berlin und verkündete die Fusion von Edeka mit dem Einzelhandelszwerg Kaisers/Tengelmann. Gabriel erteilte eine in Deutschland sehr seltene Ministererlaubnis und wollte damit wohl ein Machtwort sprechen – nach Monaten und nach Jahren des Streits um die Fusion.

Entscheidendes Argument für den SPD-Minister war der Erhalt der rund 16.000 Arbeitsplätze, über die Kaisers/Tengelmann noch verfügt. Mit seiner Ministererlaubnis für die Fusion setzte sich Gabriel über Bedenken des Bundeskartellamts und der Monopolkommission hinweg. Prompte Reaktion: Noch am Tag der Verkündung trat der Vorsitzende der Monopolkommission zurück. Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Zimmer teilte per Brief dem verehrten Wirtschaftsminister mit:

„Eine Fortführung meiner Tätigkeit in der Monopolkommission erscheint mir nicht sinnvoll, wenn eine einstimmig erteilte Empfehlung der Kommission in einem eindeutigen Fall nicht angenommen wird…“

„Eine äußerst problematische wirtschaftspolitische Entscheidung“

Auch der neue Chef der Monopolkommission, Achim Wambach, hat die Ministererlaubnis kritisiert und damit so ganz nebenbei seinem zurückgetretenen Vorgänger Daniel Zimmer den Rücken gestärkt: Vollbeschäftigung sei zwar ein Ziel der Wirtschaftspolitik, sagte Wambach der Zeitung „Welt am Sonntag“. Dies sei „aber nicht gleichzusetzen mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen bei einem bestimmten Unternehmen“.

„Im vorliegenden Fall geht es nicht um strukturelle Arbeitslosigkeit”, sagte Wambach. Die Monopolkommission habe sich daher einstimmig gegen eine Erteilung der Ministererlaubnis ausgesprochen. Wambachs Vorgänger Zimmer war noch deutlicher: Gabriels Ministererlaubnis sei „eine äußerst problematische wirtschaftspolitische Entscheidung“, erklärte Zimmer.

Kündigungsschutz für Kaiser’s-Beschäftigte

Gabriel wiederum weist mit Nachdruck auf die Bedingungen der erteilten Ministererlaubis hin: Edeka darf gemäß Gabriels Entscheidung die rund 450 Filialen von Kaiser’s-Tengelmann fünf Jahre lang nicht an selbständige Edeka-Einzelhändler weiterreichen und muß betriebsbedingte Kündigungen in dieser Zeit ausschließen. Nach Ablauf der fünf Jahre gilt für weitere zwei Jahre Kündigungsschutz für Kaiser’s-Beschäftigte, sollte ihre Filiale übernommen werden.

Das klingt wie das Pfeifen im Wald. Hatte sich Sigi, der Weltökonom, sicher schön vorgestellt. Doch der Markt ist kein Kinderspielplatz, und einem bösen Kind kann man da nicht mit dem Zeigefinger drohen. Hier hat einer die Gesetze des Marktes nicht verstanden. Muß er auch nicht, ist ja Sozi. Und die sind strenggläubig: Sie glauben, etwas von Wirtschaft zu verstehen. (Siehe: „Wem Gott ein Amt gibt…“)

Wie blauäugig war denn das? Niemand strebt eine Fusion an, wenn er sich davon keine Vorteile (oder auf der anderen Seite Rettung) verspräche. Man verschleiert das auch mal gerne durch das nette Schlagwort von den „Synergieeffekten“. Nein, sagen wir es deutlich, nennen wir das Kind beim Namen:

Wenn ein solcher Deal zustande kommt, hier in Deutschland oder auch weltweit bei den Global-Players, kostet es Arbeitsplätze. Edeka will sich doch Kaiser’s nicht einverleiben, um „soziale“ Marktwirtschaft zu beweisen, sondern ihre Marktmacht zu festigen und zu erhöhen. Fachleute – wie das Kartellamt und die Monopolkommission – wissen das und sagen „Stop!“. Doch der „Fachminister“ – so nennt man das Amt tatsächlich – hebt durch eine „Minister-Erlaubnis“ das Urteil einfach auf und glaubt weiter an das Gute im Menschen.

Die denkbar schlimmste Folge der Gabrielschen Entscheidung wäre, daß Tengelmann nach der Übernahme absichtlich vor die Wand gefahren wird. Dann z. B. löst sich der Kündigungsschutz in Luft auf. War alles schon mal dagewesen und ist nicht neu. So wie beim Billigheimer „Plus“, den der Netto (EDEKA) übernommen hat. Aber davon spricht heute noch niemand.

Ich fürchte, daß es dem Herrn Wirtschaftsminister wie im Lebensmittelgeschäft geht: er, der sich heute für die Jobs bei Tengelmann in die Bresche wirft und (sicher ungewollt) Edeka noch größer macht, als es das sowieso schon ist, hat mit Zitronen gehandelt.

Fazit: Auch hier sind Sozis überfordert, selbst wenn die Entscheidung aus sozialsten Motiven erfolgt sein sollte. Gut gemeint ist meist das Gegenteil von gut getan – „im Zweifel fest an der Seite von Arbeitnehmern und Gewerkschaften“. Der Markt ist aber kein Sozialinstitut.

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  1. April 2016
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