Dorf und Landfluch(t) – ein Plädoyer gegen den Zeitgeist

Auf einer Diskussionsveranstaltung während einer kommunalen Fachtagung war die erste Frage der Moderatorin an die Teilnehmer der Gesprächsrunde kurz und klar: „Bitte beantworten Sie die folgende Frage nur mit Ja oder Nein: Stottert der Wirtschaftsmotor Gemeinde?“ Alle (politisch hochkarätigen) Diskutanten  antworteten – über die Parteigrenzen hinweg – unisono mit Ja! Da wurde also auf kein Ergebnis hingearbeitet, da wurde das Ergebnis vorweggenommen.

Anders ausgedrückt: Wir haben Angst vor der Zukunft. Ein Teilnehmer bemerkte lakonisch: “Mir ist schon seit Jahren aufgefallen, daß die die Vergangenheit mit Statistiken erklärt wird, aber kaum Könner da sind, die Prognosen für die Zukunft erstellen. Es fehlt eine Art wirtschaftlicher Generalstab, der ´Sandkastenspiele` für alle Fälle durchspielt…“

Voilà, hier liegt das Problem! Sterben unsere Dörfer in naher Zukunft aus? Haben wir Ideen, dem angemessen zu begegnen? Ein Horrorszenario nimmt seinen Lauf – und wir schauen ohnmächtig zu.  Nahezu alle – ob mit oder ohne Sachkenntnis, aber immer mit breiter medialer Unterstützung – fühlen sich kompetent und singen lauthals das Klagelied des „gestrigen“  Landes an: „Auf dem Land“ nur noch Alte, junge Leute ziehen in die Ballungszentren, weil sie dort eher Arbeitsangebote zu finden glauben, in Altbauten will niemand mehr leben, Landwirtschaft niemand mehr betreiben, Häuser stehen leer, Bausubstanz verfällt, Wertverlust, Hoffnungslosigkeit. Solche Regionen altern schneller als andere. Damit läßt ihre Wirtschaftskraft immer rascher nach. Betriebe sterben, ansiedlungswillige neue Unternehmen fehlen – und damit auch Arbeitsplätze. Alle diese Probleme haben natürlich auch Auswirkungen auf die Finanzkraft einer Kommune. Ein unkoordinierter Wettbewerb unter diesen Gemeinden ist die Folge, mit zum Teil abstrusen Mitteln:

Zuerst werden die Herzstücke einer Kommune „gespart“: Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder etc. werden geschlossen, Rathäuser infragegestellt – was eine weitere   Abwanderung provoziert. Dann „jagen“ sich Gemeinden die (wenigen) ansiedlungswilligen jungen Familien mit allerlei Sonderförderungen ab, was aber nichts daran ändert, daß die Gesamtzahl solcher junger Familien arg begrenzt ist – also das Übel nicht an der Wurzel geheilt wird.

Wider das Kirchturmdenken

Die Alternative – eine enge Kooperation dieser Gemeinden untereinander – stößt häufig an ihre Grenze: das Kirchturmdenken. Jede Gemeinde, vor allem jeder Bürgermeister, will Erfolge vorzeigen können, nicht Rückschritte. Mut zur Wahrheit wäre dringend gefragt. Aber das würde auch heißen, bereit sein zu einem eventuellen Verzicht gegenüber dem Nachbarn – und vice versa. Eine – auch staatlich verordnete – Kooperation ist unverzichtbar, sozusagen eine gesamtgesellschaftliche Leitlinie wäre erforderlich, die die Möglichkeiten der Zusammenarbeit, evtl. auch des Zusammenlegens verschiedener Orte oder Institutionen (z. B. Feuerwehr, Gerätschaften etc.), aufzeichnet und Mindeststandards kommunaler Dienstleistungsangebote festlegt.

Im Sinne einer gewachsenen, oft Jahrhunderte alten Kultur und Tradition, die gerade im ländlichen Raum noch sehr ausgeprägt sind und nachbarschaftliches Engagement beweisen, sollte grundsätzlich einer Reform der Infrastruktur zwischen Nachbargemeinden der Vorrang gegeben werden vor jeder Art von „Wegzugsprämie“ – auch wenn vorgeblich „moderne“ Stadtentwickler diese „Bleibeprämie“ als Geldverschwendung brandmarken und für einen Wegzug in die Stadt plädieren. Sünden gegen den Gemeinschaftsgeist hat es schon genügend gegeben, weil zu wenig über Alternativen nachgedacht oder – wo doch – solche Initiativen politisch nicht durchgesetzt wurden. Wie schon anfangs erwähnt: „Stirbt die Schule, stirbt das Dorf.“ Und erst recht ohne Kirche verliert ein Dorf seinen Charakter. Klingt gut und vertraut, verlangt aber einen erheblichen Geldaufwand. Wenn beispielsweise in weiten Bereichen der neuen Bundesländer nur noch wenige Christen existieren, reicht die Kirchensteuer nicht einmal zur Notsicherung der Gebetsräume. Auch Dauersubventionierung kann und darf nicht ein Allheilmittel sein.

Aber wenn z. B. staatliche Einrichtungen wie die Bundeswehr Standorte gerade in strukturschwachen Gebieten schließt, bedeutet das nicht nur den drohenden Exitus der Gemeinde(n), sondern auch, daß  der Staat seinen gesetzlichen Auftrag zum Schutz strukturschwacher Regionen eklatant verletzt. Auch von daher wird der Ruf nach einer umfassenden Koordination immer drängender. Wenn dann von den Verantwortlichen „zwingende betriebswirtschaftliche Gründe“ herangezogen werden, so zeugt dies letztlich von fehlender volkswirtschaftlicher Kenntnis – von Verantwortungsbewußtsein ganz zu schweigen. Gleiches gilt für Bahn und Post, die ihre Netze völlig kundenunfreundlich ständig zurückfahren, während sie gleichzeitig in der weiten Welt Millionen- und Milliarden-Investitionen tätigen.

Der zunehmende Rückgang des „Landes“ als Lebensraum ist im Kern denn auch ein Zeichen für das Versagen des Staates und somit ein öffentlicher Skandal. Gemeint sind nicht nur das Land und der Bund, sondern auch die Brüsseler EU-Institutionen, die in ihrem gigantomanischen Trieb den bäuerlichen Familienberieben durch vorrangige und  überwiegende Förderung einer molochartigen Agrarindustrie die Luft zum Atmen nehmen. Klein- und Mittelbetriebe haben es zusätzlich schwer und gelten als wenig attraktiv – obwohl sie z. B. durch Ausbildung mehr für des Landes Zukunft tun als alle die urbanisierten Neuzeitler.

Soweit die Abteilung „Jammern“ oder auch „Tatsachen-Beschreibung“, die mit Vorstehendem genügend dargestellt sein sollte, aber zur allgemeinen Erkenntnis notwendig erscheint. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille und darf schon gar nicht genügen, mit dem Schlagwort „Klappe zu, Problem erledigt“ der Herausforderung auszuweichen. Schau´n wir ´mal tiefer „hinter die Kulissen“:

„Land“ versus Urbanisierung

Was treibt eigentlich die Apologeten einer zunehmenden „Urbanisierung“?  Niemand,  nebenbei bemerkt, kann offensichtlich so recht darlegen, was er unter diesem Begriff versteht, aber das Wort ist en vogue und soll damit als Abgrenzung dienen gegen die „Zurückgebliebenen vom Land“. Daß „das Land“ ein Spiegel unserer Kultur, Geschichte und regionalen Eigenarten ist – was soll´s! Wer fragt schon nach Wurzeln? „Wurzeln?“ – das klingt nach gestern und hat offensichtlich auch nur einen Wert für Ewiggestrige, wie uns die Zeitgeistigen einreden wollen! Aber wir machen uns ´was vor: Dem vermeintlichen Untergang des ländlichen Raumes steht zur Überraschung (oder Enttäuschung) mancher Urbanisierungs-Propheten nicht etwa eine Hochblüte der Städte gegenüber. Im Gegenteil, dort wachsen Subkultur, Ghettobildung, gesellschaftliche Ausgrenzung und Prekariat – früher hätte man das „Proletariat“ genannt, aber das ist heute politisch inkorrekt. Das kann (und darf) also nicht die Lösung sein. Nein, der Schlüssel zur Rückbesinnung liegt auf dem Land und hat weniger mit Raumordnung und Städteplanung, sondern mehr mit der inneren Verfassung unserer Gesellschaft zu tun.

Solange es eine Chance zur Gegensteuerung gibt, ist für Fatalismus kein Anlaß, obwohl wir Deutschkulturellen zu sehr dazu neigen. Keine Frage, es gibt „auf dem Land“ Probleme, viele Probleme, und die dürfen nicht wegdiskutiert werden. Aber solche Probleme gab es zu allen Zeiten. Es wäre Unfug, deshalb einen Alarmismus in Gang zu setzen und eine neue „Katastrophensuppe“ hoch zu kochen. Das hatten wir schon beim „Waldsterben“, bei der „neuen Eiszeit“ und beim „Ozonloch“ etc. – allesamt Rohrkrepierer einer mächtigen Weltuntergangslobby. Nun folgt also z. B. neben dem uns seit Jahren begleitenden Verkehrsinfarkt auch noch das „Landsterben“.

Aber wir sollten durchaus auch selbstkritisch sein. Muß eigentlich gegen jedweden Trend „der Staat etwas unternehmen“? Können wir nicht dafür sorgen, daß die Menschen wieder selbst ihr Schicksal bestimmen? Wir reden von kommunaler Selbstbestimmung, lassen aber zu, daß der untersten, der bürgernahen, Ebene zunehmend Kompetenzen weggenommen werden. Die wachsende Automatisierung und vor allem die Informationstechnologien werden noch stärker unsere zukünftige Gesellschaft bestimmen und damit Industrie und Landwirtschaft zurückdrängen. Muß das aber das Aus für das Land bedeuten? Ich glaube nicht. Denn wenn erst einmal – in etwa 10-20 Jahren – der größte Teil der Büro-Arbeitsplätze und der Wissensjobs nicht mehr – räumlich gesehen – in einem Unternehmen, sondern zuhause angesiedelt sind, wird der Zug raus aus der übervollen Stadt aufs Land verstärkt zunehmen, und viele Dörfer werden wieder (neu) besiedelt. Patentlösungen für diese Zeit, erst recht aber für die Übergangszeit, hat heute zwar niemand, aber Lösungen in kleinen Schritten bieten sich bereits jetzt an.

Der Zeitgeist hat auch hier gründlich in die Segel geblasen und einen Circulus vitiosus kreiert. Jahrelang wurden (und werden noch) den Menschen die Akzeptanz und das Selbstverständnis   deutscher „Kleinbürgerlichkeit“ (horribile dictu) vermiest und das hohe Lied der „Urbanität“ gesungen. Medien und Werbung gaukeln den aufgeschlossenen, modernen und kultivierten Stadtmenschen vor, der mit gerümpfter Nase und gespreizten Fingern auf die unterbemittelten  Landpomeranzen herunterblickt. Als ob „urban“ ein Wert an sich wäre!  Es handelt sich also auch um eine gesamtgesellschaftliche Dimension.

Stadtvirus in der CDU

Nach der verlorenen Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart fielen die „Bürgerlichen“ wieder ´mal in pauschale Lethargie und nicht enden wollendes Wehklagen. Es ist ein nun schon seit Jahren gepflegter Reflex, mit dem die Partei auf Verluste in Städten reagiert:

Die Grünen seien im Bürgertum angekommen. Die CDU habe in Großstädten keine Chance mehr, solange sie sich nicht dem „Großstadt-Milieu“ öffne. Sie müsse endlich die „neue Bürgerlichkeit“ akzeptieren und den konservativen Mief abstreifen usw. Niemand in der Union scheint sich die Mühe zu machen, diese locker ausgehusteten Begriffe zu analysieren oder zu begründen. Es ist eben einfacher, Meinungen zu artikulieren, denn sie zu begründen.

Auf den ersten Blick sieht es ja in der Tat so aus, daß die CDU in Stuttgart verloren hat. Ob sich daraus aber einfach ableiten läßt, daß die Union in Großstädten keine Chance hätte und als Großstadt-Partei kollektiv versage, darf bezweifelt werden. Offenbar verwechseln viele Unions-Funktionäre „versagen“ mit „verzagen“, womit wir bei einem Kern des Übels wären. Statt sich auf die alte Stärke zu besinnen – wobei die Union versagt – läuft sie dem Zeitgeist hinterher und verzagt. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Diese Partei weiß nicht, was sie will. Und das spürt der Wähler – Entschuldigung: der Wähler und die Wählerin.

Die CDU hat die alten Werte verwässern lassen, ja, für neue über Bord geworfen, statt sie zu verteidigen. Das Hecheln dem Zeitgeist hinterher hat der CDU nichts gebracht und nur neue Verluste beschert. Seit Jahren „öffnet“ sich die CDU diesem neuen Zeitgeist – und steht heute vor den Trümmern ihrer neuen Programmatik. Es steht zu befürchten, daß dies so bleibt, solange die Merkels die Richtung der Partei bestimmen. Aufgeben dürfen die Wertebewußten in der Union aber nicht. Philipp Mißfelder, der Bundesvorsitzende der Jungen Union und Hoffnungsträger vieler Konservativer, sagt es deutlich (FAZ 23.10.12): „Unsere sogenannte programmatische Öffnung zeigt keine Wirkung. Dieser Kurs wird von den großstädtischen Milieus nicht angenommen. Überdies werden die eigenen Anhänger verschreckt, weil sie nicht verstehen, warum wir uns in einen Überbietungswettbewerb mit den Grünen begeben, den wir nicht gewinnen können.“ Dem Manne ist zuzustimmen. Und Berthold Kohler, Herausgeber der FAZ, resümiert: „Das Weltbild der CDU verschwimmt im Nebel des Zeitgeistes“ (23.10.12).

 

Zurück zur „Landflucht“: Warten, bis die Arbeit zu einem kommt, wird aber auch nicht von Erfolg gekrönt sein, und wenn man untätig zusieht, wie „sterbende“ Kommunen durch Subventionen künstlich erhalten werden, auch nicht. Man muß schon selbst die Initiative ergreifen. Wenn die Leute weniger Kinder kriegen – was oft in Stadt und Land beklagt wird – dann ist das ein Faktum, das man nicht per ordre du Mufti aus dem Weg räumen kann. Aber bis wir alle ausgestorben sind – wie lange wird das dauern? Hundert Jahre? Länger? Glaubt denn wirklich niemand, daß in der Zwischenzeit nicht Hunderte, Tausende oder mehr neuer Ideen und Initiativen gefunden werden, die die Situation wieder drehen könnten? So viel Fatalismus darf doch nicht sein! In einer globalisierten Welt hilft nur Eigenverantwortung, Zusammenstehen vor allem auf dem kleinsten Raum, der Kommune.

 

Hoffnung und Mut

Es gibt zahlreiche Ideen schon jetzt, wie dem Trend auf dem Lande entgegengetreten werden kann. Das macht Hoffnung und Mut. Ein paar Beispiele: Es gibt nach dem Wegfall des Bahn-Monopols mehr Anbieter für Fernbus-Verbindungen, die zu kleinen Preisen Menschen aus Orten transportieren können, die einen schlechten oder gar keinen Anschluß an den Bahnverkehr haben. Die Erfahrung zeigt, daß gerade Kinder und Ältere sich in Bussen besser aufgehoben fühlen. Es gibt – ein Angebot gerade für kleinere Gemeinden – die Projekte „Bürgerbus“, „Rufbus“ und „ASt“ („Anrufsammeltaxi“) – Möglichkeiten, der vermeintlichen Immobilität des ländlichen Raumes zu entfliehen.

Eine besondere Herausforderung gerade für ländliche Gemeinden – aber auch eine besondere Chance – liegt im Gesundheitswesen, einem neuralgischen Punkt gerade für Kranke und Ältere. In besonderer Weise gilt dies für eine wohnortnahe Versorgung der Bürger mit medizinischen Leistungen und modernen Therapien, die die bisherige Landarztpraxis naturgemäß nicht leisten kann, zumal es derer viel zu wenige gibt. Jeder kennt heute den „Hausnotruf“, der sich bewährt hat. Aber nur wenigen ist bekannt, was sich hinter Begriffen wie „Mobile Health“ oder „Assisted Living“ verbirgt (deutsche Wörter dafür ham mer natürlich nicht): Neue Technologien, die Unterstützungs- und Hilfsangebote für kranke und ältere Menschen ermöglichen und nahe am Arzt sind, gültig für alle medizinischen Leistungen – von der Prävention über die Behandlung bis hin zur Rehabilitation und Pflege.

 

Diese Assistenzsysteme werden in absehbarer Zukunft eine große Hilfe für die Gesundheit, die Lebensqualität und Selbständigkeit kranker oder pflegebedürftiger Menschen sein. Daß sie auf dem flachen, medizinisch oft unterversorgten Land ganz besonders wichtig sind, bedarf keiner näheren Erläuterung. Zugleich ermöglichen diese Assistenzsysteme auch den Verbleib der betroffenen Personen in den eigenen vier Wänden und (!) wirken zusätzlich der Kostensteigerung im Gesundheitswesen entgegen.

Ferner: Gesundheits-Apps für Smartphones eignen sich zur Übertragung und Speicherung individueller Patientendaten, so daß der Gang in die ärztliche Praxis zu einem großen Teil entfallen kann – gerade im ländlichen Raum eine höchst begrüßenswerte Einrichtung. Mit dieser Einrichtung können wichtige Gesundheitsdaten eines Patienten über dessen Smartphone an Arzt, Klinik, Pflegedienst oder Apotheke übertragen werden. Das Handy kann z. B. auch (mittels Zusatzgeräten) Blutwerte, Blutdruck und Puls messen, die Arterien überwachen und Herzschrittmacher kontrollieren.

Die Deutsche Telekom, aber auch andere IT-Unternehmen, testen zur Zeit eine Art mobiler Visite – „Mobile Visite“ – also das Gespräch mit dem Arzt über Fernseher und Breitbandanschluß. Pflegebedürftige können auf diese Weise die Verlegung in ein Heim  hinauszögern, Patienten können Kontrollen durchführen, weil Ärzte und Pflegepersonal sozusagen am Krankenbett sitzen – wenn auch virtuell.

Die Verbindung von moderner Medizin- und Kommunikationstechnik ist noch lange nicht zu Ende entwickelt und bietet noch viele Ausbaumöglichkeiten. Es steht aber jetzt schon fest, daß diese Technologien gerade im ländlichen Raum zur qualitativen, effizienten und zeitgemäßen Versorgung der Patienten beitragen und somit auch eine Absage an die Forderung nach „Urbanisierung“ sein können. Noch einmal: Verzagen und Fatalismus sind keine Antwort auf die Probleme des ländlichen Raumes. Es gibt schon viele Beispiele, die aufzeigen, wie Kommunen den Problemen begegnen und dabei durchaus Erfolge aufweisen.

In Cham/Oberpfalz im bayerischen Wald waren jahrelang Strukturschwäche und Landflucht die Hauptprobleme im kommunalen Bereich. Man sprach vom „Armenhaus“ Bayerns. In den letzten zwanzig Jahren gelang eine erfolgreiche Wende. Es konnten Arbeitsplätze auch in Zukunftsbranchen angesiedelt werden, wodurch die Bevölkerungszahl gehalten und die Kaufkraft gesteigert wurden – das Ergebnis einer gemeinsamen Kooperation und Strategie aller Bereiche. In Wallmerod im Westerwald – ebenfalls eine strukturschwache Gegend – wird seit dem Jahr 2004 ein bundesweit beachtetes Projekt gepflegt, das der Landflucht entgegenwirken soll und vor allem den Dorfkern wieder in die Mitte der Kommune rückt. So werden in der Verbandsgemeinde – das ist die unterste Verwaltungseinheit mehrerer Orte in Rheinland-Pfalz – Baugebiete restriktiv ausgewiesen und Vorrang der vorhandenen Grundstücks- bzw. Bausubstanz gegeben, also dem Ortskern. Interessenten, die ein altes Objekt übernehmen wollen, werden nicht nur besonders intensiv (und schnell) beraten, sondern erhalten auch finanzielle Unterstützung. Damit gelang es u. a., fast 100 Häuser wieder zu „reanimieren“ und Baulücken zu schließen. Die Erfolge kann man in einigen Orten der Verbandsgemeinde auf den ersten Blick erkennen. Fast 80 Prozent der Nutzer dieser Programme sind junge Familien – ein sichtbarer Beweis, daß das Dorf und das „flache Land“, nicht „tot“ sind. Vorausgegangen war eine Bestandsaufnahme von rund 700 Gebäuden und Grundstücken, die in das Programm „Leben im Dorf“ einbezogen werden konnten.

Das sind nur einige Einzelbeispiele. Sie zeigen aber, daß „das Land“ nicht zum Tode verurteilt ist, wenn man mit Ideenreichtum und allen Kräften für das Überleben kämpft. Bleiben wir also optimistisch, und beten wir nicht noch Probleme herbei, die praktisch lösbar oder sogar schon gelöst sind! Es geht, wenn man will, wenn man über den Tellerrand hinausschaut und wenn man sich gemeinsam an einen Tisch setzt. Verantwortliche in den Rathäusern ersetzen nicht das bürgerliche Engagement und die Eigenhilfe, können aber in die Entwicklungsprozesse fördernd – und im Bedarfsfall auch steuernd – eingreifen, um die Versorgung der Bürger zu ermöglichen. Das geht nur über eine Verzahnung der Konzepte und Strategien von öffentlicher Hand sowie lokalem Einzelhandel und Gewerbe – und es wäre ein Stück gelebter Partizipation und ein Beispiel, wie man dem Zeitgeist ein Schnippchen schlagen kann. Was letztlich heißt: keine Chance dem Fatalismus!

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