Der INF-Vertrag – das Ende der Illusionen

(www.conservo.wordpress.com)

Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist *)                                

Der unbefristete INF-Vertrag von 1987 war schon seit längerer Zeit Gegenstand sorgenvoller Diskussionen in politischen Zirkeln. Jetzt ist der Vertrag Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Am 1. Februar 2019 verkündete der amerikanische Präsident Donald Trump, dass die Vereinigten Staaten in diesem Jahr aus dem Vertrag aussteigen werden, der nach seiner Ansicht die USA benachteiligt. Seine früheren Äußerungen zu einem Ausstieg wurden zu wenig beachtet, da man gewohnt war, solche Absichtserklärungen nicht zu ernst nehmen zu müssen.

Nach dem Ausstieg der USA aus dem „ Klimaabkommen“ und dem Vertrag mit dem Iran war klar, dass der Ausstieg aus dem INF-Vertrag folgen würde. Es ist nicht bekannt, dass zum Beispiel die Europäer – als entscheidende Nutznießer des INF-Vertrages – versucht hätten, auf offiziellen und inoffiziellen Kanälen die steigenden Spannungen zwischen den USA und Russland in Fragen der nuklearen Rüstungskontrolle zu mildern und neue vertrauensbildende Maßnahmen zu fördern.

Deutsche Regierungen, die seit Jahren angekündigt haben, mehr Verantwortung in den internationalen Beziehungen zu übernehmen, haben ihre Politik des Wegschauens, Wegduckens und Verschweigens fortgesetzt. Der jetzigen Regierung war der „Migrationspakt“ wichtiger als Versuche, den INF-Vertrag zu retten.

Die angestrebte neue Verantwortung als Mitglied im VN- Sicherheitsrat für zwei Jahre hätte man als Mandat nehmen können, sich stärker in nukleare Entwicklungen mit drohenden globalen Konflikten einzubringen. Es zeigt sich erneut, dass eine Appeasementpolitik – wie gegenüber China, dem Iran und Russland – nicht belohnt wird. Anstatt sich anzustrengen, den USA unter Donald Trump die zweifelhafte politische Zuverlässigkeit im NATO-Bündnis zu beweisen, hätte man der Bevölkerung klaren Wein über die aggressiven Bestrebungen Putin-Russlands – besonders gegenüber Europa – einschenken müssen.

Jetzt sind viele Menschen in Deutschland und Europa brutal aus dem Traum des „ewigen Friedens“ herausgerissen worden. Jetzt suchen sie panisch und hektisch nach einfachen, schnellen Lösungen.

Putin hat den Vertrag mit sofortiger Wirkung aufgekündigt und seinen Ministern verboten, irgendwelche Gespräche mit westlichen Politikern zu führen. Auf den Vorschlag der amerikanischen Regierung, sich sechs Monate Zeit zu Gesprächen zu nehmen, hat er eine klare Absage erteilt. Angst bleibt ein schlechter Ratgeber – besonders mit Blick auf die eigene Bevölkerung. Es ist mir unverständlich, dass der „ Spiegel“ vom 2.2. 2019 überzogen vor einem – neuen – atomaren Wettrüsten warnt und sehr detailliert auf militärische Fakten eingeht.

Unter dem Primat der Politik, das in den USA, China und Russland die Dominanz des politischen Denkens und Handelns gegenüber dem Militär garantiert, sind politische Entscheidungen wegweisend. Rückblickend auf die ´70er und ´80er Jahre waren diese die „Goldenen Jahre° für alle Verträge im Bereich der Rüstungskontrolle. Mitten im Kalten Krieg.

Alle Beteiligten müssen Anstrengungen unternehmen, wieder ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen und Vernunft herzustellen. Es bedarf wieder einer klugen Doppelstrategie des Westens – Aufrechterhaltung der Abschreckung durch angemessene militärische Kräfte und Mittel sowie die Förderung von vertrauensbildenden Maßnahmen.

Die Begrenzung auf zwei Vertragspartner war damals vernünftig. Heute fordern viele Experten die Einbeziehung Chinas in Folgeverhandlungen. Die Idee klingt gut, aber es fehlen heute und in absehbarer Zeit alle Voraussetzungen für belastbare Lösungen. Eine Ausweitung der Teilnahme – z.B. auf bekannte und vermutete Nuklearmächte – potenziert die Schwierigkeiten von sensiblen Verhandlungen.

Die Nuklearwaffen finden – bei den bekannten und vermuteten Nuklearmächten – eine unterschiedliche Bedeutung und Bewertung. Es gibt weitere Staaten – wie z.B. der Iran und terroristische Gruppierungen, die nach Nuklearwaffen und weitreichenden Raketen streben, weil sie sich davon ein höheres politisches Gewicht versprechen – mit Nordkorea als hervorstechendes Beispiel.

Es wird weiterhin heiße militärische Konflikte geben – oft sog. „Stellvertreterkriege“ – unterhalb der nuklearen Auseinandersetzung. Die nukleare Eskalation ist zu vermeiden, da diese nur Verlierer hervorbringen wird. Nuklearwaffen dienen in erster Linie der Abschreckung vor einem nuklearen Erstschlag durch die eigene gesicherte Zweitschlagfähigkeit.

Erst wenn das notwendige gegenseitige politische Vertrauen erreicht wird, sind Verhandlungen über militärische Details sinnvoll. Es wird wieder Jahre dauern, bis diese Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört auch das Offenlegen vitaler nationaler Interessen und etwaiger Schnittmengen.

Relativ rasch sollten Konflikte, die zu gewollten oder ungewollten Kollisionen auf unterster Ebene auf dem Wasser und in der Luft führen können, entzurrt werden.

Moderne Kommunikationseinrichtungen – z.B. „Rote Telephone 4.0“ verbunden mit „ Künstlicher Intelligenz“ – auf hoher politischer und militärischer – Ebene beschleunigen direkte Gespräche im Dienste der Krisenprävention und Krisendeeskalation.

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Wochenzeitung „Junge Freiheit“)
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*) Brig.General a.D. Dieter Farwick wurde am 17. Juni 1940 in Schopfheim, Baden-Württemberg, geboren. Nach dem Abitur wurde er im Jahre 1961 als Wehrpflichtiger in die Bundeswehr eingezogen. Nach einer Verpflichtung auf Zeit wurde er Berufssoldat des deutschen Heeres in der Panzergrenadiertruppe.
Vom Gruppenführer durchlief er alle Führungspositionen bis zum Führer einer Panzerdivision. In dieser Zeit nahm er an der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie in Hamburg teil. National hatte er Verwendungen in Stäben und als Chef des damaligen Amtes für Militärisches Nachrichtenwesen.
Im Planungsstab des Verteidigungsministers Dr. Manfred Wörner war er vier Jahre an der Schnittstelle Politik-Militär tätig und unter anderem an der Erarbeitung von zwei Weißbüchern beteiligt. Internationale Erfahrungen sammelte Dieter Farwick als Teilnehmer an dem einjährigen Lehrgang am Royal Defense College in London.
In den 90er Jahren war er über vier Jahre als Operationschef im damaligen NATO-Hauptquartier Europa-Mitte eingesetzt. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung des NATO-Programmes ´Partnership for Peace` beteiligt.
Seinen Ruhestand erreichte Dieter Farwick im Dienstgrad eines Brigadegenerals. Während seiner aktiven Dienstzeit und später hat er mehrere Bücher und zahlreiche Publikationen über Fragen der Sicherheitspolitik und der Streitkräfte veröffentlicht.
Nach seiner Pensionierung war er zehn Jahre lang Chefredakteur des Newsservice worldsecurity.com, der sicherheitsrelevante Themen global abdeckt.
Dieter Farwick ist Beisitzer im Präsidium des Studienzentrum Weikersheim und führt dort eine jährliche Sicherheitspolitische Tagung durch.
Seit seiner Pensionierung arbeitet er als Publizist, u. a. bei conservo.
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www.conservo.wordpress.com       13.02.2019
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