Nach dem Ende des INF-Vertrages: Droht ein neues Wettrüsten?

(www.conservo.wordpress.com)

Von Peter Helmes

Die Atomwaffenangst ist zurück

„Die Lage ist wieder ´mal ernst“, würde der ehem. Bundeskanzler Konrad Adenauer jetzt wohl sagen. Nach dem Aus des INF-Vertrags steht nämlich die Entwicklung nuklearer Gefechtswaffen zu befürchten, zumal solche Waffen einfacher einzusetzen wären.

Wohin man schaut, es gibt eine Zuspitzung an Konflikten und von Eskalationen überall:

Der INF-Vertrag ist passé, er ist Geschichte, und der Streit zwischen den USA und China sieht noch lange nicht als „beigelegt“ aus. Eher im Gegenteil. Zudem gibt es immer mehr Nachrichten aus der Welt der nuklearen Unvernunft. Zuspitzung überall.

Wobei es nicht nur um den INF-Vertrag geht, sondern 2021 steht die Verlängerung des START-Abkommens über die strategischen Nuklearsysteme an, und die Frage ist, wie dann die beiden Weltmächte USA und Russland reagieren werden.

Wir haben leider eine breite Palette von Themen, von bisherigen und neuen Waffensystemen, wir haben aber keine Struktur, die in der Lage ist, im Augenblick diesen ganzen Komplex zu verhandeln.Und es geht auch weiter z. B. mit den Cyberwars, also neuen Gefährdungen. Dann haben USA, Russland und auch dritte Spieler – insbesondere China – Weltraumwaffen angekündigt. Und es geht um den Einsatz von Drohnen als Kampfmittel. Zum Beispiel haben die Amerikaner alleine in den drei Monaten nach der Aufkündigung des INF-Vertrags neue Raketen im Wert von einer Milliarde Dollar bestellt. Das zeigt ja wohl, wohin die Reise geht.

Natürlich muß man fragen, um welche Art von Raketen es sich handelt.

Es wächst die Besorgnis, die Großmächte würden jetzt in der Tat anfangen, Nuklearsysteme als Gefechtsfeldwaffen zu entwickeln, mit geringerer Sprengkraft, damit solche Systeme einsatzfähiger werden. Solche Überlegungen gibt es ja auch, gerade auch auf amerikanischer Seite, aber auch auf russischer Seite.

Es ist sehr unwahrscheinlich, daß in Kürze ein neues Abkommen über den Verzicht auf Mittelstreckenraketen vereinbart wird. Vor allem, weil sowohl Russland als auch die USA inzwischen nicht mehr einsehen, warum eine Vereinbarung nur sie und nicht andere Atommächte wie China einschränken sollte.

Vision einer nuklearfreien Welt?

Die Angst vor Atomtod, Nachrüstung und Aufrüstung, die in Europa noch in den Achtzigerjahren Hunderttausende auf die Straßen trieb, scheint weitgehend verschwunden zu sein. Jüngere Menschen haben sie gar nicht erst erlebt. Die Bilder der Massendemonstrationen finden sich jedoch in jedem Geschichtsbuch. Aber sie sind eben Geschichte. Die Erinnerung daran, was die Bombe ist, und welcher Anstrengungen es bedarf, in Zeiten ihrer Existenz das Überleben zu sichern, scheint nach einer langen Friedensperiode in Vergessenheit geraten zu sein

Gorbatschow und Reagan, der ursprünglich mal als kalter Krieger galt, beide haben einmal von der Vision einer nuklearfreien Welt gesprochen. Heute sind wir an dem Punkt angekommen, wo genau das Gegenteil diskutiert wird – mit zusätzlichen Spielern:

China ist dazugekommen, potentiell der Iran, Nordkorea, das heißt, die Situation wird immer unübersichtlicher und komplexer, und die Instrumente, die wir haben, werden nur begrenzt, wenn überhaupt, genutzt.

Und machen wir uns nichts vor: Die Gefechtsfeldwaffen, die anvisiert sind, werden besonders in Europa zum Einsatz kommen!

Klar, derzeit werfen sich sowohl Russland als auch die USA gegenseitig vor, den INF-Vertrag zum Scheitern gebracht zu haben. Doch ganz gleich, wer der Schuldige ist: Es besteht nun wieder die Gefahr, daß die beiden wichtigsten Nuklearmächte der Welt in ein nicht mehr zu bremsendes Wettrüsten geraten. Noch verfügt keines der beiden Länder über Mittelstreckenraketen – auch wenn die USA über Russland das Gegenteil behaupten. Im Interesse des globalen Friedens sollten jedenfalls die Verantwortlichen dringend zur Einsicht gelangen, daß die Welt nicht mehr, sondern weniger Waffen benötigt.

Kehren wir jetzt also in die Realität des Kalten Krieges zurück? Sicher nicht sofort, denn der Weg bis zur Stationierung hunderter Raketen mit Atomsprengköpfen auf beiden Seiten ist weit. Man muß jedoch befürchten, daß zwischen den USA und Russland erneut ein Wettrüsten beginnt.

Als die Trump-Administration den INF-Vertrag aufkündigte, versicherte sie, daß sie neue Rüstungskontrollmechanismen schaffen wolle, die zur Realität im 21. Jahrhundert paßten. Der 1987 vereinbarte INF-Vertrag war ein Erfolg, weil er nicht nur eine bestimmte Waffengattung beschränkte, sondern sie sogar ganz abschaffen sollte. Experten sahen darin wie in anderen Abrüstungsvereinbarungen auch den Beweis, dass bei den beiden Supermächten USA und Sowjetunion zunehmend Vernunft einkehrte.

Die Kündigung des INF-Vertrags ist jetzt nicht etwa eine Kriegserklärung, aber es ist wieder einmal deutlich geworden, wie US-Präsident Trumps außenpolitische Strategie aussieht: Er kündigt einseitig internationale Vereinbarungen auf und schwächt damit auch die Nato und die Europäische Union.

Das tut Trump natürlich nicht aus „Jux und Tollerei“. Mit der Verhängung von Strafzöllen, dem Flirt mit Nordkorea oder der Beendigung des Atomabkommens mit dem Iran geht es ihm vor allem um eines: um seine Wiederwahl 2020

Was macht eigentlich der deutsche Außenminister?

Die Bundesregierung ist Mitglied des Nato-Russland-Rates. Die Bundeskanzlerin, unser Außenminister und jetzt dann auch die europäische Kommissionspräsidentin v.d.L. müßten dringend mit Stoltenberg sprechen, natürlich auch mit den europäischen Partnern, auf der Basis folgender Überlegungen:

Welche Strategie sollte man erarbeiten, entwickeln, um jetzt zu einem neuen Vertrauensverhältnis mit Russland zu kommen und diese Spannungen abzubauen. Ohne Gesprächsbereitschaft läuft da aber nichts.

Eines scheint wohl festzustehen: Die Welt ist unsicherer geworden.

www.conservo.wordpress.com     3.8.2019
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